Dornig, köstlich, wild: die Schlehe
Im Spätherbst beginnt die Zeit der langen Nächte. Die ersten Fröste läuten den Winter ein. Doch selbst jetzt können wir noch Wildfrüchte ernten: die Schlehen. Sie schmecken erst, nachdem die Temperaturen unter 0 Grad gefallen sind. Der Frost lässt das Fruchtfleisch der Schlehe weicher und den herb-sauren Geschmack milder werden. Aus den nachtblauen Früchten können wir dann köstliche Marmelanden, Weine und Liköre gewinnen. Doch beim Sammeln ist Vorsicht geboten: vor spitzen Dornen und Feenzauber…
Die Schlehe: Blaues Wunder am Ende der Vegetationszeit
Die Schlehe (Prunus spinosa) gehört zu den Rosengewächsen (Rosaceae). Sie wird auch Schlehdorn oder Schwarzdorn genannt. Der Name zeigt es schon an: Kräftige, lange Dornen bewehren den sparrigen Strauch, der sich gerne an Waldrändern und in Hecken zwischen Feldern einstellt. Die flachwurzelnde Schlehe besitzt eine sehr dunkle, schwärzliche Rinde. Die Bätter sind wechselständig, länglich oval und am Rand fein gezackt.
Von November bis Dezember, wenn die Früchte mindestens eine Nacht Frost abbekommen haben, ist die Zeit, in der wir die kugeligen, etwa 1 cm großen Steinfrüchte ernten können. In manchen Jahren wachsen sie so dicht und zahlreich, dass im Spätherbst die Sträucher schon aus der Ferne herrlich blau leuchten.
Ebenso fällt uns die Schlehe im Frühjahr auf. Regelrecht über Nacht hüllt sich das schwarze Dornengeäst in eine weiße Blütenpracht – schon weit bevor das grüne Laub sprießt. Dadurch lässt sich die Schlehe in diesem Zeitraum leicht vom Weißdorn unterscheiden, dessen Blüten erst nach den Blättern gebildet werden.
Unheil und Zuversicht – die Schlehe verbindet die Gegensätze
Auf unsere Vorfahren wirkte die ungewöhnliche Blüte der Schlehe wie ein Zeichen der Natur. In der Pflanze manifestierte sich das Dunkle und Morbide des Winters ebenso wie das Liebliche und Lebendige des Frühlings. Wenn die weißen Blüten die schwarzen Zweige verdecken, stehen sich zwei entgegengesetzte Prinzipien gegenüber: die kosmischen Lichtkräfte und die verborgenen Lebenskräfte der Erde. Im Weltbild unserer Vorfahren stand der Schlehenbusch somit zwischen Tod und Leben, zwischen Winter und Sommer.
Für die Kelten war die Schlehe daher ein Feenbaum. Man erzählte sich allerlei unheimliche Geschichten. Vor allem die Inselkelten fürchteten den Schwarzdorn als Unglücksbaum. Hexen würden sich aus Schlehenholz Wanderstäbe machen und Wachsfiguren mit Schwarzdornstacheln durchboren, um ihren Feinden Schmerzen und Fehlgeburten zu schicken. In dieses Bild der unheilvollen Pflanze passte auch, dass die wilden irischen Krieger für ihre gefürchteten Totschläger (“shillelagh”) das harte Holz der Schlehe wählten.
Ganz anders blickten die osteuropäischen Völker auf den Schlehdorn. Für die Slawen war die Schlehe eine freundliche Pflanze, die mit ihren Dornen und Früchten den kalten Winden des Winters trotzt. Auch gegen Hexen und andere böse Wesen bildete die stachelige Schlehe eine Schutzwand. In der Walpurgisnacht nagelten Bauern gerne Schwarzdornzweige über die Stalltür, damit die eutersaugenden Hexen das Milchvieh in Ruhe ließen. Weiden und Höfe wurden damals häufig mit Schlehen umpflanzt. Mädchen trugen Kleider mit eingenähten Schlehenhölzchen, um vor bösen Zaubern geschützt zu sein. Und so manche Geschichte erzählt von bösen Frauen, die für immer ins Schlehengestrüpp verbannt wurden.
Heilobst aus der Jungsteinzeit
Schlehen enthalten viel Vitamin C und heilsame Gerbstoffe. Funde aus neusteinzeitlichen Siedlungen belegen, dass unsere Vorfahren bereits vor 5.000 Jahren Schlehen sammelten. Die Früchte lassen sich leicht trocknen und somit für die Wintermonate haltbar machen.
Ausgrabungen zeigten, dass die Menschen in ihren Pfahlbauten entsprechend große Schlehen-Vorräte angesammelt hatten. Zusammen mit Holunder und Hagebutten bildeten die Schlehen die Grundlage dafür, gesund durch die kalte Jahreszeit zu kommen. In einem jungsteinzeitlichen Dorf am Bodensee, das 3300 v. Chr. existierte, wurden außerdem durchlochte Schlehenkerne gefunden, die offenbar als Kette getragen wurden.
Später begannen die Menschen, die Schlehe mit der in Klein- und Mittelasien beheimateten Kirschpflaume zu kreuzen. So entstanden neue heimische Obstbäume, die wir heute sehr schätzen: Pflaume, Zwetschge und Mirabelle.
Nicht nur die Früchte, auch die Blüten und die Rinde wirken adstringierend (zusammenziehend), harntreibend, fiebersenkend, magenstärkend und entzündungshemmend. Die Rinde der Schlehenwurzeln und -äste wurden früher als Mittel gegen fiebrige Erkältungen eingesetzt. Tatsächlich kann man aus der Rinde einen orangefarbenen, milden Tee kochen. Mit seinem hohen Gehalt an Gerbstoffen lindert der Tee Magenverstimmungen, ähnlich wie Eichenrindentee. Im Mittelalter wurde aus der Rinde aber auch Tinte gewonnen – die sogenannte Dornentinte.
Köstliche Schlehen-Marmelade: So gelingt’s!
Schlehen lassen sich recht unkompliziert zu Fruchtwein, Saft oder Sirup weiterverarbeiten. Auch Marmelade lässt sich in wenigen Schritten zubereiten. Ihr markanter Geschmack ist immer wieder etwas Besonderes.
Für vier bis fünf Gläser Schlehenmarmelade benötigst du lediglich 1 kg Schlehen, ca. 1 kg Gelierzucker (bzw. 500 g Gelierzucker 1:2) und etwas Wasser. Wasche die Schlehen zunächst in kaltem Wasser und gib sie mit wenig Wasser in einen Kochtopf. Bereits nach wenigen Minuten Wärmezufuhr zerfällt das Fruchtfleisch und löst sich vom Kern. Nimm als nächstes einen Kartoffelstampfer und drücke die Schlehen im Topf gut aus. Streiche sie danach durch ein Sieb und trenne das Mus so von den Kernen. Die Kerne kannst Du beiseitelegen – gewaschen und getrocknet kann man damit ein Wärmekissen füllen.
Wiege das gewonnene Schlehenmus ab und fülle es mit der gleichen Menge Gelierzucker in einen Kochtopf. Bringe die Masse zum Kochen und lasse sie dann ungefähr fünf Minuten sprudelnd weiterkochen. Wenn die Marmelade geliert, fülle sie in zuvor heiß ausgespülte Gläser ab. Dabei ist wichtig, dass du die Gläser bis zum Rand füllst, sie sofort zuschraubst, für 15 Minuten auf den Kopf stellst und dann wieder umdrehst. Kühl und dunkel gelagert hält sich so die Schlehenmarmelade etwa ein Jahr.
Die Schlehe erfreut uns nicht nur mit köstlichem Wildobst, sondern auch als wertvolle Bereicherung in der Natur. Der Schlehdorn kann bis zu 40 Jahre alt werden und erreicht gewöhnlich eine Wuchshöhe von drei Metern. Seine Wurzelausläufer bilden neue Schößlinge, so dass sich oftmals dichte Schlehenhecken bilden. Man findet die Schlehe häufig in Gesellschaft von Wacholder, Berberitze, Haselnuss, Wildrosen und Weißdorn. In diesen Hecken pulsiert das Leben.
Glückliche Falter neben aufgespießten Mäusen
Ob Feen im Schlehdorn wohnen, bleibt ein Geheimnis, aber dass er ein wertvoller Lebensraum für Tiere ist, wissen wir genau. Die Schlehe zählt zu den wichtigsten Wildsträuchern für unsere heimische Fauna. Im Frühjahr sind die Blüten eine wichtige Nektarquelle. Neben Haus- und Wildbienen tummeln sich hier Hummeln, Schwebfliegen und vor allem viele Schmetterlinge wie Zitronenfalter, Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge und Landkärtchen lieben die Schlehenblüte. Und auch der selten gewordene Goldglänzende Rosenkäfer knabbert gerne an den Blütenblättern und dem Pollen der Pflanze. Das Laub wird von rund 70 Schmetterlingsarten zur Eiablage aufgesucht, darunter seltene Arten wie der Schlehenspanner, Segelfalter und das Gelbe Ordensband.
Manchmal entdeckt man jedoch auch aufgespießte Insekten und sogar Mäuse auf den langen Dornen. Zweifelsohne ein gruseliger Anblick, aber auch eine gute Nachricht. Denn hier lebt ein selten gewordener Vogel, der mit seiner eigenwilligen Technik der Vorratshaltung auf dornige Sträucher angewiesen ist. Der Neuntöter spießt seinen Fang auf den Stacheln der Schlehe auf. So sichert er sich Mahlzeiten für spätere Zeiten. So kommen auch auf diese Weise in der Schlehe Leben und Tod zusammen.
Im Sommer bietet ihr struppiger Wuchs und ihre Dornen den Nestern von Amsel, Rotkehlchen und Zaunkönig Schutz. Und die Früchte des Schlehdorns sind für rund 20 Vogelarten, darunter Meisen und Grasmücken, eine wichtige Futterquelle in den kältesten Monaten. Wer also Schlehen ernten möchte, sollte den Vögeln ausreichend Früchte übrig lassen.
1 Kommentar
Cristina Camarata
So ein schöner Artikel über eine so köstliche, etwas vergessene Wildfrucht! Das Nachtblau der Früchte hat mich schon immer fasziniert. Nun weiß ich endlich mehr darüber und kann den Schwarzdorn vom Weißdorn unterscheiden. Sehr interessant war auch wieder der Einblick in das Weltbild unserer Vorfahren, die Sicht der Kelten und Slawen auf die Schlehe, und dass schon die Steinzeitmenschen die Heilwirkung dieses nahrhaften “Superfoods” zu schätzen wussten. Sehr spannend fand ich auch, dass die Menschen schon vor langer Zeit auf die Idee kamen, einheimische Schlehen mit asiatischen Kirschpflaumen zu kreuzen und so neue Sorten züchten konnten. Wenn man heute geneigt sein mag, über die Geschichten und den “Aberglauben” zu schmunzeln, so muss man doch anerkennen, dass die Menschen die Pflanzen sehr gut kannten, sie studierten und wertschätzten und viele Heilerfolge damit erzielen konnten. Das Wissen ging in der modernen Welt teilweise verloren, aber mittlerweile ist das Interesse wieder sehr groß an der Naturheilkunde, was zahlreiche Bücher, Kurse, Workshops und Blogs* belegen. Und dieser herrliche Beitrag bietet auch wieder einen Kochkurs, der einen inspiriert, auf den nächsten Wanderungen nach Schlehen zu suchen, um im nächsten Winter die köstliche Marmelade zu kochen. Ich hatte das Glück, eine solche geschenkt zu bekommen. Es war die köstlichste Marmelade, die ich je gegessen habe! Hätte ich einen Garten, stünde darin auch mindestens ein großer Schlehdorn, auch weil er so wichtig ist für viele Insekten, vor allem Bienen und Schmetterlinge und viele Vögel.