Warum werden im Herbst die Blätter bunt?
Winterschlaf gibt es nicht nur im Tierreich. Auch die Bäume verfallen in der kältesten Jahreszeit in einen tiefen Ruhemodus. Doch bevor sie die Photosynthese einstellen, präsentieren sich viele Gehölze noch einmal von ihrer besonders schönen Seite. Im Herbst leuchten ihre Blätter in den herrlichsten Gelb- und Rottönen. Warum betreiben Bäume und Sträucher diesen Aufwand, kurz bevor sie ihr Laub abwerfen? Und warum behalten Laubbäume ihre Blätter nicht einfach das ganze Jahr hindurch?
Wenn unsere sommergrünen Laubgehölze im Herbst ihre Blätter abwerfen, retten sie damit ihr Überleben. Sie richten sich so auf den winterlichen Wassermangel ein. Denn solange ein Blatt für seinen Baum Photosynthese betreibt, verdunstet es ständig einen großen Teil des durch die Wurzeln aufgesogenen Wassers. Eine hundertjährige Rotbuche zum Beispiel pumpt auf diese Weise jeden Tag 400 Liter aus dem Boden.
Wenn nun im Winter der Boden gefriert, kann dieser Kreislauf durch die feinen Transportwege im Holz nicht mehr laufen. Hätte der Baum jetzt noch Blätter, würden diese weiterhin Wasser verdunsten. Der Baum müsste verdursten. Zudem würde gefrierendes Wasser in seinem Stamm die hölzernen Leitungen bersten lassen. Den Bäumen in unseren Breiten bleibt also gar nichts anderes übrig, als rechtzeitig im Herbst alle Blätter abzustoßen – und sie im Frühjahr wieder neu wachsen zu lassen.
Das Geheimnis hinter den bunten Blättern
Es ist das Schicksal eines Baumes: Dort, wo er wurzelt, bleibt er bis zum Lebensende. Er kann nicht, wie etwa die Zugvögel, im Herbst losziehen und sich neue Nahrungsquellen suchen. Strenges Haushalten ist also unabdingbar. Entsprechend lebenswichtig ist es für einen Baum, den mühsam aufgebauten Zucker in sein Gewebe und seine Wurzeln einzulagern. Die wertvollen Stoffe, die in seinen Blättern liegen, will er nicht einfach dem Wind überlassen. Er sichert sie sich lieber für später.
Vor allem das Grün, das Chlorophyll, zerlegt der Baum im Herbst in seine Bestandteile und bunkert es hinter seiner Rinde. So kann er es im nächsten Frühjahr wieder in das neue Laub einbringen. Sobald das Chlorophyll aus den Blättern gezogen ist, werden andere Farben sichtbar. Karotinoide (gelb, orange, rot) und Xanthophylle (gelb) verursachen die beeindruckende herbstliche Laubfärbung. Diese Farbstoffe stecken von Anfang an in den Blättern, werden aber vom Chlorophyll zunächst verdeckt.
Anders als die gelben und braunen Farbtöne geht die kräftig rote Laubfärbung auf Pflanzenfarbstoffe zurück, die der Baum in dieser Übergangsphase neu bildet. Es sind Anthocyane, die auch für die Rotfärbung reifender Früchte verantwortlich sind. Sie entstehen als Nebenprodukt der sehr hohen Stoffwechselaktivität, die Bäume in dieser Zeit leisten. Bevor die winterliche Stille einkehrt, sind Bäume nochmals hochaktiv und verlagern wichtige Elemente wie Phosphor, Eisen, Kalium und Stickstoff in ihre Stamm-, Ast- und Wurzelbereiche. All diese Vorgänge lassen die grünen Baumkronen kunterbunt werden.
Chlorophyll – das grüne Blut
Es ist durchaus nachvollziehbar, weshalb die Gehölze ihr Grün einschließen. Dieser Farbstoff ist ihr wertvollster Schatz. Mithilfe des Chlorophylls kann eine Pflanze unter Einsatz von Sonnenlicht aus Kohlendioxid und Wasser Zucker herstellen. Diesen Zucker lagert sie ein, um daraus zu einem späteren Zeitpunkt Lipide, Stärke, Proteine oder Nukleinsäuren herstellen zu können. Ohne Zucker kein Wachstum, keine Fortpflanzung, kein Leben. Wir wiederum verdanken dem alltäglichen Naturwunder der Photosynthese den für uns lebenswichtigen Sauerstoff. Und als phänomenale Zusatzleistung reinigt jedes einzelne Blatt die Luft und kühlt das Klima.
Chlorophyll besteht aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff – ohne diese Stoffe wäre das Leben auf der Erde nicht möglich – sowie Magnesium. Dieses Metall ist verantwortlich dafür, dass Blätter und Nadeln grün erscheinen. Die Moleküle absorbieren die roten und blauen Bestandteile des Sonnenlichts, nicht aber die grünen. Wenn Licht von einer Pflanze reflektiert wird, dann ist das, was wir sehen, das nicht absorbierte grüne Licht. Das Grün unserer Wälder haben wir also dem Magnesium zu verdanken.
Der Zusammenhang zwischen unserer Atmung und der pflanzlichen Photosynthese wird umso erstaunlicher, wenn man sich die hierfür zuständigen Proteinkomplexe anschaut. Chlorophyll hat eine sehr ähnliche molekulare Struktur wie Hämoglobin – der rote Blutfarbstoff, der den Sauerstoff in unserem Blutkreislauf transportiert. Beim Hämoglobinmolekül sitzt ein Eisenatom im Zentrum, beim Chlorophyll ein Magnesiumatom. So wie das Chlorophyll grün ist, weil Magnesium das ganze Lichtspektrum außer Grün absorbiert, ist Blut rot, weil Eisen alles außer Rot absorbiert. Man könnte sagen: Chlorophyll ist grünes Blut. Seine Bestimmung ist es, Licht zu binden, während es die Bestimmung des Blutes ist, Sauerstoff zu binden.
Um die Verbindung zu einem Blatt zu kappen, bilden die meisten Bäume zwischen Zweig und Blattstiel ein Trenngewebe, das verkorkt. Dann reicht schon ein kleiner Windstoß, und das Blatt löst sich. Buchen und Eichen können sich offenbar nicht so leicht von ihrem Laub trennen. Sie tragen oft bis ins Frühjahr hinein braune, vertrocknete Blätter im Geäst. Statt eines Trenngewebes lassen sie Zellen wachsen, die ihre Wasserbahnen verstopfen. Angesichts der gigantischen Anzahl an Blättern ist dies ein erheblicher Kraftakt. Bis zu 800.000 Blätter trägt eine alte, ausgewachsene Rotbuche. Rund 28 Kilogramm Laub kommen dabei zusammen.
Auch immergrüne Pflanzen wie die meisten Nadelbäume werfen ihre Blätter ab. Allerdings verlieren sie nicht gebündelt alle Nadeln im Herbst, sondern tauschen hier und da einzelne aus. Die Nadeln einer Kiefer bleiben etwa fünf Jahre am Zweig, die einer Fichte bis zu sieben Jahre und die Nadeln einer Tanne sogar bis zu elf Jahre. Doch wie gehen Koniferen dann im Winter mit Frost und Wassermangel um? Ihre Taktik ist es, bei Kälte die Verdunstung jeder einzelnen Nadel herunterzufahren. Damit im Winter kein Wasser verdunstet, überziehen sie die Oberfläche ihrer Nadeln mit einer dicken Wachsschicht. Zudem sind die Atemöffnungen tief in der Oberfläche versenkt, was größere Wasserverluste verhindert. Eine Ausnahme bildet die Lärche. Sie folgt der Taktik der Laubbäume und färbt im Herbst ihre Nadeln gelb, um sie schließlich zu Boden fallen zu lassen.
Im Herbst und Winter wären Blätter für den Baum lebensgefährlich
Nadelbäume sind mit ihrer Gestalt viel besser an eine winterliche Witterung angepasst. Da ihre Krone schmal und kegelförmig ist, können Wind und Schneelast weniger Schaden anrichten. Für einen Laubbaum sieht das ganz anders aus. Er will mit seiner ausladenden Krone viel Sonnenlicht einfangen und sich möglichst viel Regenwasser zuleiten. Seine Blätter können eine Fläche von 1000 m² zusammenbringen. Die Stürme der kalten Jahreshälfte würden an einer solchen Krone wie an einem Segel zerren. Da kann auf den Stamm schnell eine Gewalt von umgerechnet bis zu 200 Tonnen Gewicht lasten. Auf belaubten Zweigen würde sich auch viel mehr Schnee ansammeln und die Äste abbrechen lassen. Auch deswegen war es eine gute Idee der Laubgehölze, die Fähigkeit zum Blattabwurf zu entwickeln, als sie vor etwa 100 Millionen Jahren unseren Planeten bevölkerten.
Oft ist zu sehen, dass junge Bäumchen ihr Laub noch tragen, während alte Artgenossen es schon abgeworfen haben. Die Jungen wollen offensichtlich jeden zusätzlichen Tag Sonnenlicht nutzen, um für das eigene Wachstum vorzusorgen. Und die alten Bäume helfen ihnen dabei. Während ihre kahlen Zweige mehr Sonnenlicht für die jungen Bäume durchlassen, wirkt ihr Laub auf dem Boden wie eine wärmende Kompostschicht. Die jungen Bäume haben somit ein milderes Bodenklima und mehr Licht. Diesen Vorteil nutzen sie ebenso im Frühjahr, wenn sie als erste austreiben. So erhält der Nachwuchs etwa einen Monat zusätzliche Wuchszeit – das lohnt sich, wenn man hoch hinaus will.
Im Herbst entscheiden Bäume bewusst, wann ihre Blätter fallen
Nicht alle Bäume lassen ihr Laub bunt werden, bevor sie es abwerfen. Erlen, Eschen und Holunder lassen im Herbst ihre Blätter sattgrün zu Boden sinken. Da sie bevorzugt auf nährstoffreichen Böden wachsen, können sich sich den Luxus leisten, ihr Chlorophyll jedes Jahr neu zu produzieren. Pilze und Bakterien zerlegen für sie die Ausgangstoffe. Die Bäume müssen sie nur noch über ihre Wurzeln aufnehmen. Eichen wiederum sind besonders sparsam. Sie ziehen nicht nur das Chlorophyll ein, sondern auch alle Karotinoide und Anthocyane, so dass auch alle gelben und roten Farben hinter der Rinde verschwinden. Übrig bleibt nur noch braunes Laub.
Doch wie können Bäume überhaupt erkennen, dass es Frühling oder Herbst ist? Erst wenn eine bestimmte Anzahl warmer Tage erreicht ist, aktivieren Obstbäume ihre Knospen. Bäume können offenbar zählen. Auch die Tageslänge hat einen Einfluss auf das Abwerfen und Neuaustreiben des Laubs. Buchen lassen erst dann ihr Blattwerk sprießen, wenn es täglich mindestens 13 Stunden hell ist. Ein ganz eigener Sinn für Umweltveränderungen, der nach neuesten wissenschaftlichen Beobachtungen wohl in den Knospen und in der Rinde verortet sein muss, befähigt die Bäume dazu.
Doch damit ist es ja noch nicht getan. Um veränderte Temperaturen und Sonnenstunden auch richtig einordnen zu können, muss ein Baum eine Art Gedächtnis haben. Die Veränderung des Laubs unterliegt keinem genetisch vorprogrammierten Rhythmus, sondern ist ein bewusster Akt. Deshalb passen sich auch unsere heimischen Bäume wie Eiche oder Buche dem gegenteiligen Rhythmus an, wenn sie nach Neuseeland gebracht und dort eingepflanzt werden.
Tote Blätter: Quelle für neues Leben
Wenn verrottendes Laub auf dem Boden liegt, ist es immer noch von großem Nutzen. Die braunen Blätter sind ein gefundenes Fressen für Tausendfüßler, Asseln, Springschwänze, Milben, Ohrwürmer und viele mehr. Regenwürmer schleppen die Reste in die Tiefe und vertilgen sie. Ihre Ausscheidungen wiederum zersetzen Pilze und Bakterien im Erdreich zu Humus. Am Ende entsteht somit neuer Erdboden, auf dem neue Bäume wachsen können. Und auch diese Bäume werden im Herbst wieder ihr buntes Laub fallen lassen.
Im Garten sollten wir daher Laub unbedingt liegen lassen. Auf übereifrigen Ordnungssinn und lärmende Laubbläser sollten wir tunlichst verzichten. Blätter sind nicht nur ein hervorragender natürlicher Dünger für den Boden. Die Laubschicht dient auch als Versteck und Überwinterungsquartier für zahlreiche Kleintiere. Hierzu gehören Nützlinge wie die Marienkäfer, die sich von den ungeliebten Blattläusen ernähren. Herbstlaub ist also nicht nur schön anzuschauen, sondern auch von unersetzbarem Wert.
2 Kommentare
Cristina Camarata
🍂🍃🍁🌱 Danke für diesen sehr informativen, unfassenden und mit sehr schönen Fotos unterlegten Bericht über die Färbungen der Blätter aller Arten von Laub- und Nadelbäumen, deren verschiedene Taktiken und Herangehensweisen, um die Winter zu überstehen und die für sie wichtigen Nährstoffe im Inneren für den kommenden Frühling aufzubewahren.
Eine bildhafte Biologie- und Chemiestunde vom Feinsten!
Besonders gefallen haben mir auch der Vergleich “grünes” But – rotes Blut, die detaillierte Beschreibung der Laubbäume, warum sie grüne Blätter abwerfen, oder braune… Wie die alten Bäume den kleinen Jungbäumen helfen, welche Sinne sie für Umweltveränderungen haben und aktiv darauf eingehen!
Auch dass sie ein Gedächtnis haben… Das Beispiel der 1.000-jährigen Stieleiche, die enorme Leistung eines Laubbaumes, jedes Jahr 800.000 Blätter zu produzieren, die phänomenale biochemische und logistische Leistung jedes einzelnen Baumes, der schicksalshaft an einem Ort ausharren muss! macht ehrfürchtig – vor ihrer unendlichen Ausdauer, Stärke, Resilienz und Weisheit, ihrer Weitsicht und Umsicht für die Artgenossen und ihre Nachkommen. Wir können noch so viel von Bäumen lernen!
Seit 100 Millionen Jahren bevölkern sie unseren gemeinsamen Planeten, haben sich geduldig an teils unwirtliche Lebensräume angepasst, ohne sie zu schädigen und ohne Müll zu hinterlassen, wie wir Menschen das in einem vergleichsweise kurzen Moment der Zeitgeschichte “verbockt” haben. Wie können Menschen immer noch wertvollstes, verottetes Laub mit einem stinkenden, lärmenden Gerät von rechts nach links blasen, bis der Herbstwind mit der nächsten Böe alles wieder zurückwirbelt? Anstatt den eigenen, giftigen Plastikmüll einzusammeln und – überhaupt damit aufzuhören, solchen zu produzieren!?
Mich schmerzt es ungemein, nun so viele kranke und gefällte Bäume zu sehen, die Opfer des – auch von Menschen gemachten – Klimawandels wurden. Aber jedes Mal im Frühling, wenn auch der älteste, knorrigste, von Stützen getragene Baum wieder austreibt, die schönsten Blüten hervorbringt und die grünsten, zartesten Blätter kunstfertig entkräuselt, stehe ich staunend davor und bewundere ihre Schönheit und meine Zuversicht wächst, das die Bäume alles überwinden werden. Sie werden überleben! Ob wir Menschen das auch schaffen, hängt sicher davon ab, wie wir mit der Natur, den Bäumen, allen Mit-Lebewesen zukünftig umgehen, ob wir dazulernen…
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