Himmlische Holunderblüte
Jetzt, im Mai und Juni, heißt es: Rausgehen und Holunderblüten sammeln. Die leuchtend weißen Blütenstände des Schwarzen Holunders sind überall zu finden. Denn der Holunder ist ein Baum, der die Nähe zum Menschen regelrecht zu suchen scheint. Aus den Blüten des Holunder lassen sich köstlicher Sirup, heilsamer Tee und ein kräftigendes Schwitzbad zubereiten.
Der Schwarze Holunder (Sambucus Nigra) gehört zur Familie der Moschuskrautgewächse. Der fruchtig-frische Duft seiner Blüten, die in flachen, bis zu 30 cm breiten Schirmrispen angeordnet sind, ist unverwechselbar. Die weißen oder leicht gelblichen Einzelblüten sind in der Regel fünfzählig. Aus den Holunderblüten entwickeln sich später die zunächst roten, dann schwarzen Holunderbeeren. Die gegenständigen Laubblätter sind unpaarig gefiedert. Zerreibt man ein Blatt zwischen den Fingern, riecht auch das leicht nach den Blüten – so kannst du im Frühling Holunder auch erkennen, wenn er noch keine Blüten trägt.
Der Holunder kann bis zu 11 Meter hoch und bis zu 100 Jahre alt werden. Es gibt weltweit insgesamt etwa 10 Arten, die auf allen Kontinenten verbreitet sind. Als Gehölzpflanze mit einem reichen Angebot an Blüten und Beeren ist er wichtig für Bienen und Vögel, daher hat der Holunder einen sehr hohen ökologischen Wert. Außerdem gibt es verschiedene Schmetterlingsarten, deren Raupen ausschließlich vom Laub des Holunders leben. Doch auch den Menschen begleitet diese Wildpflanze schon seit Jahrtausenden. Nicht nur ihre medizinischen, auch ihre magischen Wirkungen wurden seit jeher geschätzt.
Baum des Todes, Baum des Lebens
Unsere Vorfahren, die Kelten und Germanen, sahen Bäume und Sträucher mit anderen Augen. Pflanzen waren für sie beseelte Wesen. Zwar nutzten sie ihre Blätter und Früchte, Rinden, Wurzeln und das Holz, doch dies mit gehörigem Respekt und tiefer Dankbarkeit. In der Glaubenswelt unserer Vorfahren hatten göttliche Wesen und Naturgeister in Pflanzen ihren Wohnsitz.
In der Weltsicht unserer Vorfahren steht der Holunderbusch für die Göttin Holla. Sie war den Menschen wohlgesonnen. Uns begegnet sie inzwischen im Märchen als “Frau Holle”. Die im 18. und 19. als Kissen schüttelnde Alte herabgestufte Figur war nach früherem Glauben niemand Geringeres als die sich im Laufe des Jahres wandelnde Erdgöttin. Viele alte Namen des Holunder verwiesen auf die archaische Göttin – der Strauch wurde u.a. als “Frau Holler”, “Frau Ellhorn” und “Holdermutter” angesprochen. Es war verboten, Holunderbüsche zu fällen. Im Gegenteil: Wuchsen sie an Häusern und Scheunen, galt dies als Glücksbringer, er schützte vor Feuer und Blitzschlag. So war es auch üblich, dass sich Menschen im Vorübergehen sogar vor dem Holunder verneigten.
Die Verehrung der Erdgöttin lässt sich bis in die Jungsteinzeit zurückverfolgen, dem Übergang von den Jäger- und Sammlerkulturen zu den Hirten- und Bauernkulturen in Mitteleuropa vor etwa 5.000 Jahren. Die Holle – bei den Germanen war es die Hel – galt als Herrin über Leben und Tod. Sie nahm die Samen der Pflanzen sowie die Seelen der verstorbenen Tiere und Menschen mit in ihr unterirdisches Reich und entließ sie auch wieder in ihren neuen Zyklus in der diesseiten Welt. Ebenso zweideutig wie die archaische Göttin ist auch ihr Baum: Der Holunder blüht leuchtend weiß, aber im Herbst reifen seine Beeren schwarz. Alle Pflanzenteile des Holunders sind giftig und ebenso heilend – es kommt auf die richtige Zubereitung an.
Holunder – die reiche Medizin der Frau Holle
Mit dem Holunder schenkte die heilende Göttin den Menschen eine reichhaltige Naturapotheke. Zubereitungen aus Wurzeln, Rinden, Blättern, Blüten und Früchten des Holunder wurden als schweiß- und harntreibend, entzündungshemmend und fiebersenkend über viele Jahrhunderte sehr geschätzt. Und das gilt nicht nur für die europäischen Kulturen. Auch viele nordamerikanische Völker nutzten den gesamten Holunderstrauch. Die Cherokee, die Kawaiisu und die Paiute verwendeten Aufgüsse aus den Blüten gegen Husten und Fieber, rührten Heilsalben aus den getrockneten Dolden und Blättern, und mit frischen Blättern wuschen sie Wunden, um Infektionen zu lindern.
Nach dem Glauben unserer Vorfahren ist der Holunder ein “Schwellenbaum”, ein Zugang zur Anderswelt und zu den verstorbenen Ahnen. Anders als heute galten damals auch die Verstorbenen als präsenter Teil der Gemeinschaft – man konnte sie zu magischen Zeiten um Rat fragen und um Hilfe bitten. Viele damalige Bräuche waren mit dem Holunder verbunden. Die Menschen stellten Schälchen mit Milch, Brei, Brot oder Bier an dessen Wurzeln. Auch gab es den keltischen Brauch, Puppen unter den Holunder zu legen, wenn ein Kind krank wurde. War das Kind wieder genesen, legte man zum Dank Geschenke unter den Holunder. In Nordeuropa wird der Holunder als Geburtsbaum verehrt. Schwangere, die seine Zweige berühren, kommen der Holle nahe und erhalten ihren Schutz.
Aus Holunderblüten Sirup selbst machen – so gelingt’s!
Der beliebte “Hollersirup” ist leicht gemacht, aber es gibt ein paar Dinge zu beachten. Für den Geschmack ist der süße Pollen verantwortlich. Die Blüten müssen also komplett geöffnet sein. Du solltest aber auch nicht zu lange warten, denn ein Gewitterguss kann viele Pollen aus den Blüten auswaschen. Schneide die ganzen Blütenschirme mit einer Schere ab. Achte beim Sammeln darauf, dass du nur Rispen erntest, die nicht von Blattläusen bevölkert sind. Sind einzelne Insekten im Blütenstand, schüttle diese nicht heraus, denn dabei geht viel Pollen verloren. Breite sie auf einem weißen Tuch aus, damit die Käferchen und Fliegen noch herauskrabbeln können.
20 Schirmrispen reichen bereits für eine große Menge Sirup. Tauche die Blüten in 1,5 Liter Wasser, gib den Saft einer Zitrone dazu und lasse das Ganze zugedeckt 24 Stunden ziehen. Am nächsten Tag schüttest du den Sud durch ein Sieb in einen Kochtopf und kochst ihn ordentlich auf. Füge anschließend 1,5 kg Zucker hinzu und lasse die Mischung eine Stunde lang köcheln. Nun musst du nur noch den Sirup in zuvor heiß ausgespülte Flaschen umfüllen – fertig. Hollersirup schmeckt fabelhaft im Sommer als einfache Limonade mit Sprudelwasser, als Beigabe zu Sekt oder sogar als Schuss ins Sommerbier.
Getrocknete Holunderblüten lassen sich zusammen mit Lindenblüten zu einem Erkältungstee aufgießen, der schleimlösend, schweißtreibend und abwehrsteigernd wirkt. Auch als Zusatz im Badewasser haben Holunderblüten immunstärkende Wirkung. Hierfür werden 300 Gramm getrocknete Blüten mit kochendem Wasser aufgegossen und nach 20 Minuten unter das Badewasser gemischt. Sobald man beginnt zu schwitzen, sollte man sich ins Bett legen und warm zugedeckt ruhen.
Wer nun gleich aufbrechen will, um diese Wunderpflanze zu suchen, sollte noch eines beherzigen: Ernte nicht zu viele Blüten, damit noch ausreichend Beeren heranreifen können und sowohl die Tiere als auch wir Menschen im Herbst davon profitieren. Wir können daraus wunderbare Marmeladen kochen. Der Verzehr der rohen Holunderbeeren empfiehlt sich nicht. So wie in den Blättern und der Rinde eines Holunders ist in seinen Beeren das Glycosid Sambunigrin enthalten, das erst beim Erhitzen zerfällt. Ähnlich dem Gift der Tollkirsche, setzt es Blausäure frei. Wer Holunderbeeren roh verspeist, erleidet mit hoher Wahrscheinlichkeit Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Vögel, wie beispielsweise Amseln, Drosseln, Stare und Mönchsgrasmücken, verzehren dennoch die Früchte und helfen dem Holunder so bei seiner Verbreitung.
2 Kommentare
Cristina Camarata
Ein wundervoller, umfassender und themenübergreifender Beitrag über den herrlichen Hollunder! Man meint, beim Lesen fast seinen Duft wahrzunehmen. Ich habe wieder viel dazugelernt. Besonders interessant finde ich auch all die mythologischen und geschichtlichen Informationen zum Holunder. Für mich sind Pflanzen auch beseelte Wesen 🌱🌿🌲🌳🌸💚. Wenn ich so darüber nachdenke, wie du schreibst: >Zwar nutzten die Kelten, Germanen und andere Vorfahren die Blätter und Früchte, Rinden, Wurzeln… der Pflanzen, doch dies mit gehörigem Respekt und tiefer Dankbarkeit<, dann frage ich mich, wann den Menschen dieses Denken abhanden gekommen ist. Wenn man es beibehalten hätte, wäre es sicher nicht zu Ausbeutung, Ausrottung, Raubbau und Überproduktion, Vernichtung von Lebensmitteln… gekommen. Anders herum – wenn unsere Vorfahren so gelebt hätten wie die "modernen, fortschrittlichen…", in "Saus und Braus", hätten wir wohl sehr viel schlechtere Lebensbedingungen vorgefunden. Sind wir es nicht unseren Kindern und Enkeln schuldig, ihnen die Natur so zu übergeben / zu überlassen, dass auch sie gut darin / davon leben können? OH JA!!! Und eine Rückbesinnung zu dem umfassenden Wissen und dem weisen Verhalten der Vorfahren, den Naturvölkern, wäre kein Rückschritt – im Gegenteil – die große Chance, unsere Erde wieder zu einem intakten Zuhause und Lebensraum für alle Lebewesen zu machen. Den wichtigsten Beitrag leistet hier sicher! die Natur- und Erlebnispädagogik, das Vermitteln der wirklich wichtigen Werte für die Zukunft unseres Heimatplaneten. Es gibt schon so viele gute Ansätze und Projekte, die hoffnungsvoll stimmen, dass die kommenden Generationen es besser machen werden und wissen, worauf es wirklich ankommt. Ich wünsche mir, dass die Erlebnis- und Naturpädagogik ALLE Kinder erreicht – in allen Kitas, Grundschulen, weiterführenden Schulen, Ausbildungsbetrieben und Universitäten. Da wurde schon viele Jahrzehnte lang geschlafen und wurden wichtige Weichenstellungen versäumt.
Und wir (älteren) Erwachsenen können noch viel von unseren Kindern und Enkeln lernen. Man ist nie zu alt, lernt immer dazu… 😏
Vielen Dank auch für das sehr gut beschriebene Rezept, wie man das leckere Holundersirup herstellt, das den Sommer so schön einleitet. 🌞
Dagmar
ein informativer Text, der zu mehr einlädt. Er brachte mich auf die Idee, ein Holunder Gedicht zu schreiben… vielleicht bei einem Glas HollerLimonade 🤓