Frühling

Ein Leben im Flug: Der Mauersegler

Mauersegler drehen ihren Kopf in engen Flugkurven, um ihre horizontale Perspektive zu halten. © Marcel Gluschak
Mauersegler drehen ihren Kopf in engen Flugkurven, um ihre horizontale Perspektive zu halten. © Marcel Gluschak

Von April bis August sind sie bei uns: extreme Dauerflieger, waghalsige Flugakrobaten. Es sind Tiere, deren Welt eine völlig andere ist als unsere, eine Welt ohne festen Boden unter den Krallen: die Mauersegler. Kaum ein Tier ist dem Himmel über unseren Köpfen so verbunden. Mauersegler verbringen fast ihr gesamtes Leben im permanten Flug. Sie vollziehen sogar ihre Paarung ohne Bodenkontakt.

Der wissenschaftliche Name des Mauerseglers heißt: “Apus apus”, übersetzt: “der Fußlose”. In der Tat tragen Mauersegler nur noch Stummelfüße, da sie diese kaum brauchen. Umso ausgeprägter sind ihre langen, schnittigen Flügel. In den seltenen Momenten, in denen sie ihre Flügel anlegen, überkreuzen sich diese wie zwei Säbel über ihren Rücken. Ausgebreitet erreichen sie eine Flügelspannweite zwischen 40 und 44 cm. Die Handschwingen der Mausersegler sind im Vergleich zu anderen Vogelarten stark verlängert. In der Luft verhelfen sie den Mauerseglern zu irrwitzigen Flugmanövern. Daher kommt auch ihr Name, weil sie gerne mit einem rasanten Tempo nah an den Wänden unserer Häuser entlang segeln.

Mauersegler wechseln gerne zwischen Segelflug und wilden Kapriolen © Marcel Gluschak
Mauersegler wechseln gerne zwischen Segelflug und wilden Kapriolen © Marcel Gluschak
Beim langsamen Segeln fächern Mauersegler ihren gegabelten Schwanz auf © Marcel Gluschak
Beim langsamen Segeln fächern Mauersegler ihren gegabelten Schwanz auf © Marcel Gluschak

Auch bei engen Flugkurven halten Mauersegler ihren Kopf horizontal, so dass sie ihre Umgebung in gleichbleibender Orientierung wahrnehmen können. Gleitend sind Mauersegler mit 20 bis 50 km/h unterwegs. Im Kraftflug erreichen sie mit bis zu 8 Flügelschlägen pro Sekunde 40 bis 100 km/h, bei Flugspielen sind sogar über 200 km/h möglich. Dabei ziehen sie ihre Flügel sichelförmig zurück. Würden Mauersegler ihre Flügel bei so einem Tempo voll ausgestreckt haben wie beim Gleitflug, würden die Flügel dem Winddruck nicht standhalten und brechen.

So vergeht der Alltag wie im Flug

Da Mauersegler ständig durch die Luft segeln, auch am Abend und in der Nacht, war ihr Leben uns Menschen lange Zeit ein Rätsel. Unsere Vorfahren glaubten noch, die Mauersegler würden zur Nachtruhe auf dem Mond landen. Inzwischen wissen wir mehr über das außergewöhnliche Leben von Apus apus. Die Mauersegler erledigen fast alles im Flug: Sie essen und trinken, schlafen und pflegen ihr Gefieder fliegend. Sie paaren sich sogar in der Luft. Und das alles, ohne dabei abzustürzen.

Je nach Wetter und Verteilung der Insekten jagen Mauersegler in unterschiedlichen Höhen. Normalerweise erbeuten sie Hautflügler, Zweiflügler und Käfer in einer Flughöhe zwischen 6 und 50 Metern, an warmen Tagen oft aber auch über 100 Meter über dem Boden. Wenn die Insekten in einer aufsteigenden Thermik hochgetragen werden, folgen ihnen die Mauersegler auch bis zu den Wolkenuntergrenzen von Kumuluswolken. So erreichen sie Höhen von bis zu 3.000 Metern. Segelflugzeugpiloten machen sich das zunutze. Wo sich Mauersegler in größeren Höhen aufhalten, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aufsteigende Luftströmungen zu finden.

Zwei raufende Mauersegler, die für den Bruchteil einer Sekunde ihre Krallen ineinander verhaken. © Marcel Gluschak
Zwei raufende Mauersegler, die für den Bruchteil einer Sekunde ihre Krallen ineinander verhaken. © Marcel Gluschak

Haben Mauersegler Durst, gleiten sie ganz kanpp über der Wasseroberfläche, die Flügel in V-Stellung. Dann tauchen sie gekonnt den geöffneten Schnabel ein und drücken die Schwanzfedern nach unten, um schnell wieder Auftrieb zu bekommen.

Mauersegler verbringen fast ihr gesamtes Leben im permanten Flug und vollziehen sogar ihre Paarung ohne Bodenkontakt. © Marcel Gluschak
Mauersegler verbringen fast ihr gesamtes Leben im permanten Flug und vollziehen sogar ihre Paarung ohne Bodenkontakt. © Marcel Gluschak

Doch wie schaffen es die Mauersegler, im Fliegen zu schlafen? Ihr Geheimnis ist, dass sie ihren Schlaf ganz anders portionieren als wir. Wir haben eine lange Wachphase, gefolgt von einer langen Schlafphase. Die Mauersegler hingegen gleiten nicht nur zwischen Luftschichten, sondern auch zwischen Wachzustand und Schlaf.

Nach ein paar Sekunden intensivem Flügelschlag folgt für ein paar weitere Sekunden ein passiver Gleitflug, in dem sie für wenige Sekunden schlafen. Dabei gelingt es den Seglern durch raffinierte Vorausschau, Kollisionen zu vermeiden. Ein permanenter Wechsel zwischen Manövrieren und Sekundenschlaf – Mauersegler leben wirklich in einer anderen Welt.

Schwindelerregender Sex im Sturzflug

Sogar der Liebesakt der Mauersegler verläuft akrobatisch. Das Weibchen drosselt das Tempo und beginnt im langsamen Gleitflug zu zittern. So signalisiert sie dem hinter ihm fliegenden Männchen, bereit zu sein. Der Auserwählte landet auf dem Rücken des Weibchens wie auf einem Flugzeugträger und krallt sich an ihrem Rückengefieder fest. Beide Vögel verlieren so schlagartig an Höhe. Doch der Sex und damit der kühne Sturzflug sind längst vorbei, bevor es gefährlich wird.

Die Mauersegler gehören zu den treusten Vögeln. Paarungen mit anderen Artgenossen sind bisher nicht beobachtet worden. Die Brut ist der große Ausnahmemoment, in dem Mauersegler ihren geliebten Luftraum verlassen und sich in Nischen alter Gemäuer, Kirchen oder Burgen zurückziehen. Daher haben es die Mauersegler zunehmend schwer, da viele Altbauten saniert werden, ohne als Ausgleich passende Nistkästen anzubringen.

Mauersegler meiden Regen und nehmen dafür große Umwege in Kauf. © Marcel Gluschak
Mauersegler meiden Regen und nehmen dafür große Umwege in Kauf. © Marcel Gluschak

Auch während der Brutzeit wollen Mauersegler so wenig wie möglich sesshaft sein. Männchen und Weibchen wechseln sich beim Wärmen der Eier ab. Sobald die Jungvögel geschlüpft sind, tauschen die Eltern das enge Versteck in alten Gemäuernischen wieder gegen den weiten Himmel und kommen nur in den ersten Tagen zum Hudern (Wärmen) und ansonsten zum Füttern vorbei, bis der Nachwuchs ein ausreichendes Gewicht erreicht hat. Die Jungvögel wachsen also weitestgehend ohne Nestwärme auf, doch die Natur hat auch hier eine Lösung parat. Wenn es kalt wird, fallen die Küken in eine Kältestarre. Dieses Energiesparprogramm verzögert allerdings das Wachstum. Je länger der Kälteeinbruch, desto länger dauert das Heranwachsen der Mauerseglerkinder.

Mit moderner Kameratechnik können Forscher inzwischen aufzeigen, welche abenteuerlichen Verrenkungen Mauersegler in der Luft vollführen, um im Flug ihr Gefieder zu pflegen, und wie sie punktgenau kleine Insekten aufschnappen. Selbst am Rücken können sie sich im Flug kratzen, wie diese französische Studie und das dazugehörige Video aufzeigen:

Mauersegler lieben die Sonne

Wer schützende Bäume und Sträucher meidet, muss doch bei Regen und Sturm ganz schön leiden, dachte ich mir. Wie gehen die leidenschaftlichen Flugakrobaten mit Regen um? Fliegen die Mauersegler auch bei Niederschlag unermüdlich durch die Lüfte?

Wenn sich eine Regenfront nähert, scheinen Mauersegler das früh zu spüren. Kommt ein Tiefdruckgebiet (auch Zyklon genannt) heran, ziehen viele Mauersegler vor dessen Wetterfronten her. Sie starten in vielen Fällen bereits, wenn die Kaltfront noch 500 bis 600 Kilometer entfernt ist.

Schnell schließen sich die Vögel zu Trupps zusammen, die zunächst in den Warmsektor des Tiefs ziehen, wo sie selbst bei Regen noch genügend Nahrung finden. Später fliegen sie gegen den Wind durch die Kaltfront des Tiefdruckgebiets hindurch und sind so die kürzestmögliche Zeit den stärksten Regenfällen ausgesetzt. Oft umwandern die Mauersegler dabei das Zentrum des Tiefs im Uhrzeigersinn und kehren erst nach 1.000 bis 2.000 Kilometern wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Aufkommendem Regenwetter begegnen Mauersegler durch so genannte zyklonale Wetterflüge. © Marcel Gluschak
Aufkommendem Regenwetter begegnen Mauersegler durch so genannte zyklonale Wetterflüge. © Marcel Gluschak

Im Augsut verlassen Alt und Jung den europäischen Kontinent und ziehen nach Afrika, südlich der Sahara. Dort überwintern die Mauersegler – und zwar ausschließlich im Luftraum. Afrikanischen Boden betreten sie zu keiner Sekunde! Wenn die eleganten Segler gegen Ende April wieder bei uns aufkreuzen und den Himmel mit ihren schrillen “Srieh”-Rufen erfüllen, haben sie die Welt neun Monate nur von oben gesehen.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

2 Kommentare

  • Cristina Camarata

    Vielen Dank für diesen wundervollen Artikel über die faszinierenden Akrobaten und Nomaden der Lüfte! Du hast einen wirklich umfassenden, stilistisch sehr schönen und vor allem anschaulichen und verständlichen Beitrag über die Mauersegler geschrieben, die den meisten von uns ja fremd sind, weil sie quasi ihr ganzes Leben in der Luft verbringen. Ich habe den Text mehrfach mit Freude gelesen und drucke ihn mir nun auch aus, weil ich ihn auch sehr spannend und inspirierend finde. Was für kühne, elegante Vögel diese “Freigeister” sind! Das hast du sehr schön geschildert. Deine Begeisterung für diese Tiere hat sich auf mich als Leser absolut übertragen. Es ist unglaublich, wie sie leben – ihre Schlaf- und Wachphasen während des Fluges, ihr Paarungsverhalten und Familienleben…ihre weiten Reisen ohne Zwischenstopp – was für eine enorme körperliche Leistung das auch ist! Sehr spannend fand ich auch zu lesen, wie die Mauersegler den Schlechtwetterfronten begegnen. Sicher haben die Naturkundigen Menschen früher anhand der Beobachtung der Trupps von Mauerseglern die herannahenden Unwetter vorausahnen können.
    Was ich dich noch gerne zu den Mauerseglerkindern fragen würde: Wenn die Jungen nicht lange in den Mauernestern verbleiben, weil es die Eltern wieder in die Ferne zieht… wie gestaltet sich dann ihre weitere Aufzucht, bis sie alleine klarkommen? Lernen sie sofort fliegen? Sind sie mit den Eltern in der Luft und was geschieht dann bei Kältestarre? Werden sie dann auf dem Rücken der Eltern “getragen” oder in einem Mauervorsprung/Versteck “zwischengelagert”?
    Dein Artikel ist wirklich sehr gelungen und ich habe viel gelernt …Nun weiß ich auch, wie es im Juni 2011 passieren konnte, dass sich ein junger Mauersegler im 9. Stock in unsere Küche verflogen hat – durch das schräg geöffnete Fenster, und sich dann erschrocken unter dem Küchenschrank versteckt hat: >Irrwitzige Flugmanöver in einem rasanten Tempo nah an den Wänden unserer Häuser entlang<, hast du geschrieben. Das erklärt es. Es war ein junger, noch unerfahrener Mauersegler und ich war genauso erschrocken wie er – frühmorgens… Zum Glück hatte er sich nicht verletzt und konnte wieder weiterfliegen. Ich habe später ein Gedicht darüber geschrieben…
    Ich freue mich schon sehr auf weitere interessante und spannende Berichte von dir, lieber Marcel und ich fände es ganz toll, wenn du sie auch als Buch herausbringst! Viel Erfolg weiterhin! 🍀🍀🍀👏👏👏

    • Marcel Gluschak

      Ich habe in der Tat schon öfter gehört und gelesen, dass Menschen früher die Zeichen der Natur viel stärker wahrnahmen und für ihren Alltag nutzten. Gerade die Kommunikation unter den Vögeln und ihr Verhalten hat die Menschen viel Aufschluss gegeben über das bevorstehende Wetter, die Anwesenheit von Raubtieren, die Veränderung der Landschaft und vieles mehr. Wenn jemand, der vor 200 oder auch nur 100 Jahren in unserer Welt gelebt hatte, in unsere heutige Zeit reisen könnte, wäre dieser Mensch wahrscheinlich zutiefst schockiert über die Stille in unseren Wäldern und auf unseren Feldern. Uns heutigen Menschen fällt das nicht auf, da wir den Vergleich nicht haben, und vor allem weil wir vermeintlich keine Notwendigkeit mehr sehen, Veränderungen beim Wetter, bei den Tieren und Pflanzen zu beobachten. Aber die Wissenschaft zeigt deutlich auf, wie etwa die Zahl der Feldvögel, Insekten und Amphibien immer weiter sinkt. Manchmal frage ich mich, ob es ähnlich wie bei uns Menschen auch bei Tieren ein historisches Gedächtnis gibt und sie merken, wie die Menschen immer weniger auf sie achten. Das ist natürlich reine Spekulation. Sicher bin ich mir aber, dass Vögel es merken, wenn wir ihnen wieder ganz bewusst zuhören und sie beobachten. Das muss in ihrer Wahrnehmung ein ungewöhnliches Verhalten der Spezies Mensch sein – und ich vermute, dass es sie auch erfreut.

      Was deine Frage zu den Jungvögeln bei den Mauerseglern betrifft: Diese sind tatsächlich sehr stark sich selbst überlassen. Alles beginnt mit der Bebrütung, die je nach Witterung zwischen 18 und 27 Tage dauern kann. Diese große zeitliche Variabilität und Länge ist bei Vögeln dieser Größe vergleichsweise ungewöhnlich. Sind dann die Mauerseglerkinder geschlüpft – ein Gelege besteht in der Regel aus zwei bis drei Eiern – kann auch die Nestlingszeit witterungsabhängig sehr unterschiedlich sein und zwischen 38 und 56 Tagen dauern. In den ersten zwei bis sieben Tagen hudern die Altvögel nahezu ständig – das bedeutet, sie wärmen den Nachwuchs unter ihren Flügeln. Später, falls die Temperaturen günstiger sind, geschieht dies nur noch nachts. Die Eltern sammeln die Nahrung in einem Kehlsack und formen sie mit Speichel zu einer haselnussgroßen Kugel, die sie dann einfach verfüttern können. Unter optimalen Bedingungen können Nestlinge, die beim Schlüpfen ungefähr drei Gramm wiegen, ihr Höchstgewicht von bis zu 60 Gramm in nicht einmal drei Wochen erreichen – dann wiegen sie das Anderthalbfache eines Altvogels. Erst ein paar Tage bevor sie flügge werden, stellen sie das Betteln ein und magern auf das optimale Fluggewicht von etwa 40 Gramm ab. Dann lassen sich die Eltern in der Regel nicht mehr blicken, und die Jungvögel müssen alleine den Spring in die Freiheit wagen. Bei Spätbruten befinden sich die Eötern unter Umständen bereits auf der Reise ins Winterquartier. Die Jungvögel wissen instinktiv, dass Beutegreifer und andere Gefahren lauern und starten daher ihren Ausflug in der Regel in den späten Abendstunden. Sie sind sofort selbstständig und verbringen gleich die erste Nacht in der Luft, wie Ornithologen nachweisen konnten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert