Der Schlehenspanner
Von Ende Mai bis Mitte August begegnet uns ein Falter, der die Vielfalt liebt. Längst nicht alle Vertreter dieser Art sehen gleich aus. Und auch was seine Lieblingspflanzen betrifft, ist der Schlehenspanner – anders als sein Name vermuten lässt – sehr variabel. Der nachtaktive Schlehenspanner (Angerona prunaria) ist ein relativ großer Vertreter seiner Familie und daher gut zu beobachten.
Wie kommt es beim Schlehenspanner zu dieser Vielfalt?
Die Männchen haben eine Spannweite von gut 4 cm. Sie fallen sofort auf, wenn sie so leuchtend orange sind wie dieses hier. Charismatisch ist das feine graue, querverlaufende Streifenmuster. Doch es gibt auch Schlehenspanner, deren leuchtendes Orange durch mehr oder minder ausgeprägte Brauntöne unterbrochen ist. Sogar komplett dunkle Tiere sind nicht selten. Die Weibchen wiederum sind heller gefärbt. Und auch ihre gelbliche Grundfarbe kann durch dunklere Flächen teilweise oder komplett ersetzt sein. Beim Bestimmen ist es also gar nicht so leicht, da es viele verschiedene Erscheinungsformen gibt.
Die Verschiedenheit von Eigenschaften bei den Individuen einer Art nennt man in der Biologie Variabilität. Bei diesen verschiedenen Formen handelt es sich nicht um Unterarten oder gar unterschiedliche Arten. Es ist jedoch möglich, dass es sich bei diesen sogenannten infrasubspezifischen Formen einst um ehemalige Unterarten handelte. So können sich vor langer Zeit isoliert lebende Populationen der gleichen Art unterschiedlich entwickelt haben. Zu einem späteren Zeitpunkt sind sie dann wieder zusammengekommen und haben sich vermischt. So kommt es zu dieser schönen Vielfalt im äußeren Erscheinungsbild.
Gefiederte Fühler für noch stärkere Sinne
Die Schlehenspanner-Weibchen sind etwas größer als die Männchen. Dafür besitzen die Männchen im Gegensatz zu den Weibchen gefiederte Fühler. Schmetterlinge gebrauchen ihre Fühler neben dem Tasten vor allem zum Riechen. Hierzu sind besonders entwickelte Haare zuständig, die in großer Anzahl über die Fühleroberfläche verteilt sind. Besonders bei männlichen Faltern ist es typisch, dass die Fühleroberfläche durch gekämmte, gesägte oder gefiederte Fortsätze vergrößert ist. Mehr Oberfläche bringt einen feineren Geruchssinn mit sich. Die Männchen können somit die Sexualdüfte der Weibchen besser orten.
Die Schlehenspanner-Raupen sind ab August zu finden, und das nicht nur am Schwarzdorn (Prunus spinosa), der gemeinhin als Schlehe bekannt ist. Zu den Futterpflanzen der Schlehenspanner gehören weitaus mehr Bäume, Sträucher und auch krautige Pflanzen. Hierzu gehören u.a. Birke, Eiche, Feld-Ahorn, Espe (Zitterpappel), verschiedene Weidenarten, Rote Johannisbeere, Himbeere, Stachelbeere, Heidelbeere, Haselnuss, Kornelkirsche, Löwenzahn, Breitwegerich und Schwarzer Holunder. Wer seinen Garten schmetterlingsfreundlich anlegt, wird sicher auch bald vom Schlehenspanner Besuch bekommen – denn in vielfältigen Gärten kommen sie recht häufig vor.
Die Raupen tarnen sich als kleine Ästchen
Auch die Raupen sind variabel gefärbt. Anders als die leuchtend organgen und gelben Falter tarnen sie sich effektiv im Laubgehölz – Sie sehen kleinen abgestorbenen Zweigen zum Verwechseln ähnlich. Die Raupen können bis zu 5 cm lang werden. Nachdem sie sich bis in den Herbst hinein durchs satte Grün gefuttert haben, überwintern die Raupen ab Oktober. Die Verpuppung erfolgt zwischen zusammengesponnenen Blättern. Ab Mai fliegen dann wieder die Falter – und das auch am Tag, obwohl die Schlehenspanner Nachtfalter sind.
Schmetterlinge begegnen uns auch in einer Geschichte der Maidu-Indianer. In dem Märchen “Der Schmetterlingsmann” geht es um die schwierige Aufgabe, Versuchungen zu widerstehen. Ich teile dieses Märchen gerne mit dir und denke dabei an unsere hektische Alltagswelt. Wie oft schweifen unsere Gedanken irgendwo in die unveränderliche Vergangenheit oder unbekannte Zukunft, anstatt im Hier und Jetzt zu verweilen?
2 Kommentare
Cristina Camarata
Danke für das interessante Portrait dieses hübschen Nachtfalters! Dieses tolle Foto zeigt die eindrucksvolle Maserung und die gefiederten Fühler besonders schön und deutlich. Wie schön, dass die Schlehenspanner sich nicht nur auf Schlehen als Futterplanze versteifen, das sichert den Erhalt ihrer Art besser. Kann die Variabilität in der Färbung und Musterung auch von den verschiedenen Nahrungsquellen herrühren? Und haben alle Arten männlicher Falter gefiederte Fühler?
Und hängt der Zeitpunkt der Verpuppung / Überwinterung von den Temperaturen ab (#Klimawandel…)?
Sorry wegen der vielen Fragen,😏
lieber Autor, aber es ist so interessant, und ich schätze die freundlichen und kompetenten Rückantworten immer sehr 😃💚
Das Märchen ist wunderschön vorgetragen und bildhaft erzählt! Es hat eine wichtige Botschaft und obwohl es auch traurig ist, ist es eines meiner neuen Lieblingsmärchen. Ich habe mich nur (als Mutter) gefragt, was wohl aus dem Baby geworden ist? 😯
Marcel Gluschak
Vielen Dank für Deine spannenden Fragen, auf die ich gerne eingehen möchte.
Die Unterschiedlichkeit der Farben und Muster hat evolutionären Ursprung. Die verschiedenen Unterarten, die den Ursprung für die infrasubspezifischen Formen bildeten, haben sich eigenständig entwickelt. Ihre Veränderungen waren über lange Zeiträume hinweg Ergebnis der Evolution, und diese findet ja faszinierenderweise tagtäglich statt. Die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen kann viele Ursachen haben. Diejenige Generation, die sich besser an ihre Umwelt anpassen kann, hat eine höhere Verbreitungschance. Dies kann zum Beispiel ein erweitertes Nahrungsspektrum sein, ein körperlicher Vorteil (z.B. ein verlängerter Rüssel), eine effektivere Tarnung oder eine attraktivere Wirkung auf mögliche Fortpflanzungspaare (was sich dann ggfs. in unterschiedlichen Farben äußern kann). Dass die Nahrungsquelle äußere Erscheinungsbild von Tieren verändern kann, zeigt das bekannte Beispiel der Flamingos. Sie ernähren sich vor allem von kleinen roten Wasserkrebsen. Der in den Krebsen enthaltene rote Farbstoff, also das Carotinoid, lagert sich in ihren Federn ab. Dass dieser Effekt aber auch bei Schmetterlingsarten der Fall sein kann, dafür habe ich kein Beispiel gefunden. Klar hingegen ist, dass Schmetterlinge zu den farbenprächtigsten Tieren der Erde gehören. Millionen winziger Schuppen, die auf beiden Seiten der vier Schmetterlingsflügel dachziegelartig angeordnet sind, sind für die enorme Vielfalt an Farben und Zeichnungen verantwortlich. Die Flügelfärbung der Schmetterlinge kann dabei sowohl durch Pigment- als auch durch Strukturfarben erzeugt werden, wobei meist eine Kombination aus beidem vorhanden ist. Dieses spannende Thema wird hier dateilliert erläutert: https://schmetterlinge.wiki/farben/
Du hattest außerdem nach den gefiederten Fühlern gefragt. Nicht alle männlichen Vertreter aus dem Reich der Schmetterlinge haben so deutlich gefiederte Fühler wie etwa der Schlehenspanner. Die Fühler von Schmetterlingen können sehr verschieden sein. Sie können kurz oder lang, gerade oder gebogen, mit Kolben versehen, kammzähnig, gekämmt etc. sein. Bei vielen nachtaktiven Arten haben die Männchen meistens breitere und auffälligere Fühler. Ihre Geruchsleistung ist erstaunlich. Die Männchen einiger Spinnerarten können mit dem Geruchssin der Fühler die Weibchen aus einer Distanz von 1 km orten.
Zu Deiner Frage, inwiefern der Klimawandel das Leben der Schmetterlinge beeinflusst: Generell ist die traurige Botschaft, dass die Zahl der in Europa bedrohten Schmetterlinge steigt. Etwa ein Drittel der Arten wird seltener, nur vier Prozent der Schmetterlingsarten kommen häufiger vor. Schuld daran ist vor allem der Verlust der natürlichen Lebensräume – durch die industrialisierte Landwirtschaft. Der intensive Ackerbau mit starker Gülledüngung und Insektengiften sowie die Waldmonokulturen setzen den Faltern entscheidend zu. Neben der Zerstörung der natürlichen Lebensräume drohen den Schmetterlingen aber auch Probleme durch den Klimawandel. Nach dem Klimaatlas der Tagfalter Europas, herausgegeben vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und weiteren europäischen Organisationen, könnten 70 der rund 300 untersuchten Arten 95 Prozent ihres Lebensraumes verlieren, wenn das schlimmste Klima-Szenario eintritt: ein Temperaturanstieg von 4,1 Grad Celsius bis 2080. Auch ein geringerer Temperaturanstieg von 2,4 Grad Celsius wäre für die Falter fatal: 147 Arten würden mehr als die Hälfte des für sie geeigneten Areals verlieren. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Schmetterlinge und Vögel mit dem Klimawandel offenbar nicht mithalten können. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der ideale Lebensraum der Tiere in Europa schneller nach Norden verschoben, als die Tiere mitwandern konnten.