Winter

Die Birke im Lauf der Jahreszeiten: Winter

Die Birke im Winter © Marcel Gluschak
Die Birke im Winter © Marcel Gluschak

Im Winter laufen die Stoffwechselvorgänge der Birke viel langsamer. Fast wie im Schlaf überdauert die Birke die dunkle Jahreszeit in einem Stadium der inneren Ruhe. Eine passende Zeit, um mehr darüber zu erfahren, welche mythologische Bedeutung die Birke besitzt. Dieser Baum hat uns Menschen schon seit jeher begleitet und auf besondere Weise mit der Natur in Verbindung gebracht.

In der Dunkelheit eine Botin des Lichts

Der schon im Althochdeutschen als “birka” oder “bircha” überlieferte Name hat seine Wurzeln im Indogermanischen. Dort bedeutete er: “hell”, “glänzend” und “leuchtend”. Bei den Kelten galt die Birke als Baum des Frühlings, des Anfangs und des Neubeginns. Als lichterfüllter Baum, dessen helle Rinde selbst in der Nacht – angestrahlt von Mond und Sternen – silbrig leuchtet, machte er den Menschen Hoffnung. Die Birke ist einer der ersten Bäume, der neue Blätter ansetzt. Mit ihrem Erwachen endet die Dunkelheit und erwacht das Leben.

Der abendliche Mond hinter Birkenzweigen © Marcel Gluschak
Der abendliche Mond hinter Birkenzweigen © Marcel Gluschak

In der altkeltischen Weltanschauung wohnt die Göttin des Lichts in der Birke. Als “Brigit” oder “Birgit” kehrt sie mit dem ersten Frühlingstag aus den Tiefen der Dunkelheit zurück und zieht – manchmal auf einem Hirsch reitend – übers Land. Mit jedem einzelnen Schritt weckt sie die schlafenden Samen. Durch ihren Zauber bringt sie alles in der Welt ins Fließen – die Bäche und Flüsse, das Wasser unter der Rinde der Bäume, und auch unsere Gedanken und Worte.

Brigit gilt als Göttin der Wiedergeburt des Feuers und der Pflanzenwelt. In der Vorstellung unserer Ahnen tritt sie als Heilerin und Schutzherrin auf. Als solche ist sie sehr vergleichbar mit der Ostera der Germanen. Im Kreislauf des Lebens verkörpern sie und die Birke die belebenden Kräfte des Ostens, des neuen Morgens.

Blütenknospen der Birke im Winter © Marcel Gluschak
Für Monate den frostigen Temperaturen des Winters ausgesetzt – die Blütenknospen der Hängebirke © Marcel Gluschak

Dementsprechend nutzten die Menschen auch die heilende und reinigende Kraft der Birke. Als wir uns die Birke im Frühjahr zum ersten Mal angeschaut hatten, lernten wir bereits, dass die Kelten Birkensaft zapften und die jungen Blättchen als Tee aufgossen. In den nordeuropäischen und sibirischen Kulturen reinigten sich die Menschen in Schwitzbädern und brachten ihren Kreislauf mit Birkenruten in Schwung. Anfang Februar, wenn die Tage spürbar länger werden, feierten die Menschen das Fest der Brigit. Später ersetzten die christlichen Missionare die alte Göttin durch Maria und tauften das Fest Mariä Lichtmess.

Was die Birke mit Glückspilzen zu tun hat

Die Birke zählt auch zu den großen und heiligen Bäumen der Schamanen. Es ist vor allem ihr lichtvoller Charakter, der sie mit der Sonne, dem Himmel und den Gestirnen verbindet, sowie die Tatsache, dass unter ihr gerne Fliegenpilze wachsen. Mindestens seit der jüngeren Altsteinzeit haben Schamanen in Eurasien wie auch in Nordamerika Fliegenpilze eingenommen. Vor allem in den dunklen Nächten der Wintersonnenwendzeit haben sie sich so in tranceartige Zustände versetzt, um mit den Gottheiten und Ahnen in Kontakt zu kommen. Vermutlich betrachteten sie den Fliegenpilz wie einen ‘Türöffner’, mit dessen Hilfe das Sonnenlicht, das die Birke auffängt, in die Dunkelheit dringt. Dieses Licht vermag auch die dunkelsten Ecken der Seele auszuleuchten. Deshalb gilt auch bei uns heute noch der Fliegenpilz als Glücksbringer.

Ebenso wie die Esche und die Fichte ist auch die Birke im Weltbild der Schamanen ein Weltenbaum. Er verbindet die verschiedenen Welten miteinander, von den Wuzeln angefangen, wo sich die Unterwelt befindet, bis in die Wipfel, wo man den Göttern ganz nah kommen kann. Ein Schamane kann sich an diesem Weltenbaum entlang durch den ganzen Kosmos bewegen.

Birkenrinde mit Schnee © Marcel Gluschak
Weiß bedecktes Weiß – Birkenrinde mit Schnee © Marcel Gluschak

Doch der Zauber der Birke war nicht nur Schamanen vorbehalten. Auch ‘normale’ Menschen nutzten ihn, um sich vor Unheil und bösen Wesen zu schützen. Sie brachten die Zweige über der Haustür an, schützten ihre Tiere mit Birkenblättern und gaben zerstoßenes Birkenlaub ins Viehfutter. Birkenzweige, ähnlich wie Ginsterzweige, galten auch als Material für Hexenbesen – und Hexen hatten nicht immer einen schlechten Ruf.

Die Birke findet sich auch im urgermanischen bzw. altnordischen Runenalphabet wieder, als “Berkana” oder “Bjarkan”. Damit verbunden ist das althochdeutsche Wort “berahta” oder “perahta”, was “leuchten” oder “strahlen” bedeutet. Und aus diesem Wort leitet sich wiederum der Name “Percht” ab. Die Percht ist eine uralte Sagengestalt, die sich in verschiedenen Ausprägungen in unserer heimischen wie der slawischen Mythologie findet. Ethnologen gehen davon aus, dass sie unter einigen keltischen mythologischen Einflüssen aus der nordischen Göttin Frigg hervorgegangen ist. Diese Überlieferung reicht bis in unsere Märchenwelt – Wir kennen diese strenge, aber gerechte Herrscherin heute als Frau Holle.

Wo ist heute der Zauber der Birke?

In unserer Zeit ist die Birke als Quelle der Inspiration selten geworden. Wer glaubt schon noch daran, dass ihre Blätter Kraft spenden, dass wir mit ihren Zweigen zaubern können und dass zwischen ihren Ästen weise Göttinnen zuhause sein könnten? Vielmehr wird die Birke als schnell wachsendes Straßenbegleitgrün geschätzt, das aufgrund der hellen Rinde das Licht der Autoscheinwerfer gut reflektiert. Und die Wissenschaft stellt erstaunt fest, dass die Birke Mikroplastik aus der Erde ziehen kann. Offenbar nimmt sie die kleinen Kunststoffpartikel bis tief in ihr Inneres auf. Schon gibt es Überlegungen, ob man mithilfe der Birken belastete Böden säubern kann.

Derartige nüchterne Erwägungen mögen nachvollziehbar sein. Wie es der Birke damit geht, fragt sich aber kaum jemand. Auch wenn sie sich uns nicht mitteilen können, sich scheinbar nicht bewegen und nicht davonlaufen können – Bäume sind Lebewesen. Sie leisten einen unschätzbaren Beitrag für das Leben und unser Wohlbefinden. Ich frage mich: Wieso sehen wir sie heute so oft ausschließlich als Rohstoff und Dienstleister? Es ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung, Bäume auch zu nutzen – aber: Warum verlieren wir unsere enge, ganzheitliche Verbindung zu den Bäumen? Warum ist uns ihr Schicksal häufig egal?

Birke mit Wucherungen © Marcel Gluschak
Baumkrebs wird durch Bakterien oder Pilze verursacht. Vor allem gestresste Bäume sind betroffen. © Marcel Gluschak

Immer häufiger sind Birken zu beobachten, denen es offenbar nicht gut geht. Einzelne kahle Äste und schüttere Kronen zeigen, dass die Bäume Stress haben. Der Grund für das zunehmende Birkensterben: der Klimawandel.

Die Birke ist zwar eine Pionierbaumart, die anders als viele andere Baumarten karge Standorte und pralle Sonne verträgt. Doch zwei Dinge mag die Birke überhaupt nicht: Nasse Füße und Trockenstress. Und genau dies tritt im Zuge des Klimawandels immer häufiger auf. Winter und Frühling fallen zu warm für Schnee aus, und im Sommer regnet es häufig wochenlang nicht oder die Regenschauer sind sintflutartig. Diese Ereignisse führen zu Staunässe im Wurzelbereich der Birken.

Wenn dann in langen Trockenperioden der Grundwasserspiegel auf ein Minimum absinkt, können die geschwächten Birken ihr Wachstum nur schwer aufrecht erhalten. Während durch Risse in der Rinde Schädlinge und Krankheiten eindringen können, sind die Bäume nicht in der Lage, genügend Reservestoffe aufzubauen und einzulagern. Langfristig reicht das nicht zum Überleben.

Wir haben die Birke ein Jahr lang begleitet. Wir haben gesehen, was für ein kämpferischer, vielseitiger und großzügiger Baum sie ist. Auch wenn die Birke ihre Blätter noch nicht entfaltet hat – erwacht ist sie bereits! Schon ab Januar regt sich wieder das Leben unter ihrer weißen Rinde. Die tief in den Wurzeln gespeicherten Reservestoffe werden langsam wieder mobilisiert und nach und nach in die Peripherie der Äste verlagert. Nicht mehr lange, dann schenkt uns die Birke im Frühling die ersten grünen Baumwipfel.

Die Birke in allen vier Jahreszeiten © Marcel Gluschak
Die Birke in allen vier Jahreszeiten © Marcel Gluschak

Hier findest du alle Beiträge zur Birke im Überblick.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

1 Kommentar

  • Christiane Eichberger-Cammarata

    Dieser wundervolle Beitrag beginnt wohltuend… zumal in diesen Zeiten. Wie viele von uns würden nicht auch gerne den Winter in einem Stadium der inneren Ruhe verbringen, wie die Birke? Die Erzählung von der mythologischen Bedeutung der Birke für die Kelten und die Germanen bezaubert, wie auch die wieder sehr gelungenen, poetischen Fotos. Die heilende, reinigende Kraft des Birkensafts habe ich zu Beginn des Jahres ausprobiert (Reformhaus) und kann ihn nur ausdrücklich empfehlen! 💚
    Sehr spannend und informativ fand ich auch den Absatz über die Schamanen, die Fliegenpilze ‘eingenommen’ haben? Weiß man, auf welche Art sie die Pilze zu sich geommen haben, ohne an deren Gift zu versterben?
    Dank dieses Beitrages weiß ich nun auch, wer die Frau Holle ist, wenn mich mein kleiner Enkel❤ demnächst danach fragt. 😉
    Der letzte Teil dieses Artikels über die nüchterne Betrachtung des “modernen” Menschen, der in den Birken nurmehr Rohstofflieferanten, praktische Nützlinge, Dienstleister und Filteranlagen sieht und sich nicht um ihr Wohlergehen kümmert, macht mich sehr betroffen, traurig und auch wütend. So, wie wir mit den Bäumen umgehen, gehen wir auch mit den “Nutztieren” und ALLEN Mitlebewesen um, ohne Einfühlungsvermögen, Wertschätzung und Respekt⚡
    Natürlich nicht alle von uns, aber in der Gesamtheit der modernen Zivilisationsgesellschaften haben wir unseren inneren Bezug zur Natur auf erschreckende Weise verloren. Man kann es überall sehen, an der geschundenen Natur, den kaputten Wäldern, den Müllbergen in den Grünanlagen und in den Ozeanen⚡ Wir haben allen Grund, die alten Kulturen unserer Vorfahren nicht zu belächeln, sondern von ihrem ganzheitlichen Wissen, ihrer Weisheit… endlich wieder Kenntnis zu nehmen! Bevor wir als Spezies aussterben, weil wir zu spät erkannt haben, dass unsere absurde Lebensweise – Atom-kraftwerke und -bomben, Kriege⚡, unser sogenannter Fortschritt ein Schritt in den Abgrund ist, und unser ewiges Streben nach Wachstum und Mehr!… ein Krebsgeschwür, an dem nicht nur die Birken leiden, sondern auch wir in der Folge zugrunde gehen! Es ist höchste Zeit, das Zeitfenster schließt sich – bald❗ Wenn unsere Vorfahren sehen würden, was wir hier veranstalten, sie würden aufbegehren! Wie diejenigen der jungen Generation, die begriffen haben, wie ernst die Lage ist und lautstark protestieren, zurecht!!! Wir haben als globale Gesellschaft die verdammte Pflicht, die von uns verursachten Schäden gemeinsam zu beseitigen – sofort – und nicht immer mit dem Finger auf die “anderen” Länder zu zeigen und unangenehme, dringende Maßnahmen aufzuschieben⚡Unsere jetzige Lebensweise ist ein Boomerang! Unsere Kinder und Enkel werden es uns nicht verzeihen, wenn sie durch unser Verschulden keine Zukunft mehr haben❗Schon Prof. Joseph Beuys, der sich auch mit der Natur und dem Schamanismus beschäftigte, wollte bereits 1982, als er seine bekannteste und ambitionierteste Soziale Plastik schuf, die 🌳7000 Eichen🌳 in Kassel, eine wesentliche Veränderung zur Verbesserung der Lebensbdingungen von Bäumen, besonders in Städten, schaffen. “Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung”…
    >> Indem Beuys die Bäume als wesenhafte Subjekte behandelte, rührte er an den Grundfesten des anthropozentrischen Welt- und Rechtsverständnisses. Nicht etwa, weil er Gärtner sei, pflanze er Bäume, betonte Beuys, sondern weil sie “entrechtet” seien, und erklärte: “Ich möchte diese Bäume rechtsfähig machen.”<<
    Quelle: oya – enkeltauglich leben
    Buchvorstellung von M. Fersterer: Haben Bäume Rechte?
    Von Christopher D. Stone,
    Plädoyer für die Eigenrechte der Natur, erschienen 2014.
    Damals hat man Beuys, Stern und andere Mahner belächelt, kritisiert… Und jetzt? Haben sie recht behalten! Und es sind viele hoffnungsvolle Experten hinzugekommen, wie z. B. Peter Wohlleben, und auch Marcel Gluschak, die sich einer immer größer werdenen Zustimmung erfreuen. Die Mehrheit der Menschheit begreift endlich… Worauf warten wir also? Lasst uns pflanzen🌱🌿🌳🌲 pflegen👏💚 säubern & klären🌊… und wieder "Mensch" werden. 😏

    Was ich an diesem Blog so liebe: Die kurzweiligen Beiträge spannen jeweils einen weiten thematischen Bogen und wecken gleichzeitig die unterschiedlichsten Gedanken und Gefühle im aufmerksamen Leser. Sie machen staunen, berühren, entspannen, verzaubern, informieren, rütteln wach und bewegen! 💚👏👏👏
    Danke❣️

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