Die Ulme im Lauf der Jahreszeiten: Frühling
Wir begleiten eine Baumart im Lauf der Jahreszeiten und schauen uns an, was im Frühling, Sommer, Herbst und Winter im Leben eines Baumes passiert. In dieser Reihe betrachten wir die Ulme – eine verspielte Lebenskünstlerin, die bedrohte Lebensräume liebt und uns somit immer seltener begegnet. Seit den 20er-Jahren sorgt zudem ein eingeschleppter asiatischer Pilz dafür, dass immer mehr Ulmen sterben.
Dabei ist die Ulme, wie wir in diesem Jahr sehen werden, ein Baum mit erstaunlichen Fähigkeiten: Zum Beispiel erkennt sie Insekten, die an ihr knabbern, anhand ihres Speichels, und ruft augenblicklich deren Feinde herbei. Flatterulmen vertragen Überflutungen von mehr als 100 Tagen im Jahr und sichern ihren Halt auf nassem Untergrund mit Brettwurzeln, die wir so sonst nur von Tropenbäumen kennen. Und: Ulmen haben wunderschöne, einzigartig geformte Blätter. Diese wollen wir uns in dieser Folge genauer anschauen.
Die Ulme liebt die Asymmetrie
Die Ulmen (Ulmus) bilden eine Pflanzengattung in der Familie der Ulmengewächse (Ulmaceae). Hier bei uns in Mitteleuropa finden sich die drei Arten: die Flatterulme (Ulmus laevis), die Feldulme (Ulmus minor) und die Bergulme (Ulmus glabra). Wir werden uns im Verlauf dieses Jahres vor allem die Flatterulme anschauen. Man kann die drei Arten recht gut anhand ihrer Blätter voneinander unterscheiden:
Alle Ulmen haben gemeinsam, dass ihre Blätter asymmetrisch geformt sind. Die eine Hälfte ist immer größer als die andere und ungleich am Grund des Blattstieles angesetzt. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Form sind die Ulmenblätter etwas ganz Besonderes im Reich der Bäume.
Die Asymmetrie ist bei der Flatterulme am stärksten ausgeprägt. Ulmen-Blätter haben einfach oder doppelt gesägte Ränder und eine ausgezogene Blattspitze. Die besonders verspielten Blätter der Bergulme besitzen darüber hinaus oft zwei kleinere Nebenspitzen. Außerdem sind sie auf der Oberseite ziemlich rauh – damit kann man sie leicht von der Feldulme und der Flatterulme unterscheiden. Die Oberseite des Feldulmenblattes ist hingegen glänzend dunkelgrün und meist kahl. Bei der Flatterulme wiederum sind im Unterschied zu ihren beiden Schwestern die Blattnerven wenig bis gar nicht gegabelt. Ihre Blätter sind im Vergleich zur Berg- und Feldulme meist zur Blattspitze hin gekrümmt.
Auf den ersten Blick kann man die Blätter der Ulme leicht mit denen der Hasel verwechseln. Aber der asymmetrische Spreitengrund ist ein eindeutiges Merkmal – das macht nur die Ulme. Spätestens wenn Hasel und Ulme ihre Früchte tragen, dürfte dann wirklich klar sein, um wen es sich handelt. Junge Ulmenblätter sind übrigens essbar – sie können zum Beispiel eine schöne Zutat in Salaten sein.
Und schon wird die Ulme zum Zuhause zahlreicher Bewohner…
Kaum sind die Blätter aus ihren Knospen entfaltet, finden sich dort zahlreiche Insekten ein. Insbesondere junge Ulmen leiden unter dem Befall von Blattläusen. Im Frühjahr setzen sich Ulmenblattrollenläuse an die Unterseite der Blätter und saugen den süßen Blattsaft. Daraufhin kräuseln sich die Blätter und rollen sich später entlang der Blattrippe auf. Älteren Bäumen machen die saugenden Läuse aber nicht mehr viel aus.
Die Ulmengallmilbe verursacht kleine Knötchen auf dem Blatt. In diesen winzigen Gallen leben jeweils bis zu drei Gallmilben. Im Winter ziehen sich die Gallmilben hinter die Knospenschuppen oder in die Rindenritzen zurück. Im Frühjahr besiedeln sie erneut die frisch ausgetriebenen Blätter. Oft werden die 0,1 bis 0,2 mm kleinen Spinnentiere als Schädlinge bezeichnet – tatsächlich beeinträchtigt die Gallmilbe die Entwicklung oder das Wachstum des Baumes nicht. Etwa ein halbes Dutzend Gallmilbenarten leben speziell an Ulmen.
Klingt wie ein Zauberwort: Samara
Die langgestielten, rötlichen bis violett-braunen und büschelförmigen Blüten der Flatterulme blühen bereits im März – also noch vor dem Blattaustrieb. Durch die langen Stiele bewegen sie sich gut sichtbar bei jedem Lufthauch. Wer die buschigen Blüten einmal im Wind hat tanzen sehen, weiß, woher die Flatterulme ihren Namen hat. Zwischen Mai und Juni reifen die Blüten auf den dünnen, bis zu 4 cm langen Stielen zu flachen Nussfrüchten heran. Diese besitzen ringsum einen eiförmigen bis rundlichen Flügel, um vom Wind weit weg getragen werden zu können.
Die elliptischen Flügelnüsse der Flatterulme sind im Gegensatz zu den kahlen Früchten der Feld- und Bergulme am Rand dicht und silbrig bewimpert. Solche geflügelten Nussfrüchtchen, die man auch “Samara” nennt, haben wir auch bei der Birke schon kennengelernt.
Nicht nur das Blatt ist ungleich geformt – die ganze Ulme wächst gerne verspielt
Die Flatterulme wird 150 bis 250 Jahre, in Ausnahmefällen sogar bis 500 Jahre alt. Von den heimischen Ulmen stellt sie die geringsten Ansprüche an die Nährstoffversorgung. Sie kann auch auf feuchten Sandböden und an moorigen Standorten gedeihen. Die Flatterulme wird 15 bis 35 Meter hoch und entwickelt dabei gerne eine unregelmässig gewölbte Krone. Ihr Stamm reicht in der Regel weit in diese Krone hinein. Die graubraune Borke ist längsrissig. Schon bei jüngeren Bäumen ist sie rau und hat abblätternde Schuppen. Die jungen Zweige sind grau- bis rot-braun und anfangs weich behaart.
Die Sonne scheint bereits kräftig auf das junge Blattgrün und die Temperaturen werden milder. Das Leben rund um die Ulme ist schon längst erwacht. Auch wenn die Ulme mit ihrem späten Blattaustrieb verschlafen wirkt, hat sie mit dem früheren Entfalten der Blüten bereits einen Kraftakt geleistet. Wo sie wächst, ist ein besonderer Ort. Die Flatterulme ist eine Leitbaumart natürlicher, heute vielfach selten gewordener Standorte und Waldgesellschaften. Naturfreunde schätzen die Flatterulme als “Leitbaumart” für die Revitalisierung von Bach- und Flußauen. Nicht zuletzt leistet diese Baumart einen wichtigen Beitrag zum Schutz der vielen Tierarten, die auf Ulmen angewiesen sind. Im Sommer werden wir uns unter anderem anschauen, was den Lebensraum der Ulme ausmacht und welche Tiere sich dort gerne aufhalten.
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