Winter

Wo schlafen Rehe im Winter?

Reh im Winter © Siim Lukka on Unsplash
Ein Reh im Winter – deutlich am weißen Fleck auf dem Hinterteil, dem sogenannten “Spiegel”, zu erkennen © Siim Lukka on Unsplash

Rehe halten keinen Winterschlaf. Sie sind also auch in der kalten Jahreszeit in der Natur unterwegs und tagtäglich auf der schwierigen Suche nach Nahrung. Wenn sie sich zum Schlafen legen, richten sie sich ein komfortables “Rehbett” ein. Diese Schlafplätze kann man am Waldboden gut erkennen – und manchmal sogar spannende Spuren dort entdecken.

Wer räumt denn da so ordentlich auf?

Wir waren erst wenige Minuten im Wald unterwegs, da entdeckte ich auf dem Waldboden eine auffällig dunkle Stelle. Auf einer annähernd kreisrunden Fläche von 30 bis 40 cm Durchmesser war das Laub zur Seite geschoben – ganz typisch: der Schlafplatz eines Rehs. Nur wenige Schritte später: Ein lautes Knacken im Unterholz, dann Bewegung und hektisches Getrappel hinter den Zweigen. Nur wenige Meter von uns entfernt sprangen drei Rehe auf und liefen in den tieferen Wald. Es tat mir leid, die Tiere aufgeschreckt zu haben, und gleichzeitig freute ich mich über diese unerwartete Tierbegegnung.

Schlafplatz von einem Reh im Winter © Marcel Gluschak
Kurz danach sprangen in der Nähe die Rehe weg. Zu diesem Schlafplatz werden sie wohl in nächster Zeit nicht zurückkehren. © Marcel Gluschak

Ein solches Rehbett ist im Wald recht leicht zu finden. Rehe sind zarte und sensible Tiere. Und so passt es auch zu ihnen, dass sie das Laub, Zapfen und Zweige mit ihren Hufen zur Seite scharren, bevor sie sich hinlegen. Nichts soll unangenehm pieksen oder knistern. Wenn der freigelegte Waldboden noch dunkel gefärbt ist, also noch nicht zu viel Feuchtigkeit verschwunden ist, und wenn keine Blätter darauf liegen, die der Wind in der Zwischenzeit dort hin geweht hätte, kannst du davon ausgehen, dass der Schlafplatz noch sehr frisch ist. Das Tier muss also noch vor Kurzem hier gewesen sein. Mit etwas Glück findest du dort auch frische Abdrücke der Hufe.

Rehspur an einem Rehwild-Schlafplatz © Marcel Gluschak
Trittsiegel an einem Rehwild-Schlafplatz © Marcel Gluschak

Auch wenn Rehe in dieser Jahreszeit keinen Winterschlaf halten, begeben sie sich in eine Winterruhe. Das heißt: Sie fahren ihre Körpertemperatur auf ungefähr 15 Grad Celsius herunter und verringern ihren Puls. Diese Gratwanderung zwischen Wachbleiben und Energieeinsparung ist der Tatsache geschuldet, dass die Rehe im Winter weniger Nahrung finden. Sie müssen von ihren Fettreserven leben und möglichst sparsam mit ihrer Energie umgehen.

Aus diesem Grund sollten wir Rehe im Winter nicht absichtlich aufscheuchen oder gar ihnen nachstellen. Unsere Anwesenheit erzeugt bei ihnen Stress. Ein Reh kann uns Menschen schon auf mehr als 300 Meter Entfernung wittern. Eine Flucht kann sie in der kalten Jahreszeit lebensnotwendige Energie kosten.

Reh bei Abenddämmerung © Bob Brewer on Unsplash
Reh bei Abenddämmerung © Bob Brewer on Unsplash

Häufig findet man gleich mehrere dunkle Flecken auf dem Waldboden – Rehe sind gerne in Gruppen unterwegs. In einer Gruppe zu schlafen hat zwar den Nachteil, dass sie von Raubtieren leichter entdeckt werden können. Andererseits können mehrere Rehe in einer Gruppe auch Raubtiere leichter entdecken und die anderen warnen.

Wenn sich ein Reh an einem Platz besonders wohl und sicher fühlt, sucht es diesen auch wiederholt auf. In der Regel aber wechseln Rehe ihren Schlafplatz immer wieder, um für ihre Feinde möglichst unsichtbar zu bleiben.

Wann und wie lange schlafen Rehe eigentlich?

Vielleicht haben wir bei unserem Spaziergang die Rehe sogar mitten im Schlaf gestört. Ihr Tagesrhythmus ist ziemlich gegenläufig zu unserem. Meistens schlafen Rehe am Tag, wenn die Sonne hoch am Himmel steht. In der Nacht hingegen schlafen sie selten, weil dann ihre Feinde am aktivsten sind. Rehe können aber auch nachts schlafen, wenn sie sich vor Raubtieren verstecken oder versuchen, Energie zu sparen. Außerdem haben Wissenschaftler inzwischen beobachtet, dass die Rehe ihren Schlafrhythmus in der Jagdsaison verändern. In dieser Zeit schlafen sie länger nachts, um den Jägern bestmöglich auszuweichen.

Anders als wir Menschen schläft ein Reh nicht lange am Stück. Jeder Schlafzyklus besteht aus einem 30 Sekunden bis 3 Minuten dauernden Dösen. Dann schreckt es auf, hält nach Raubtieren Ausschau, streckt seine Gliedmaßen und schläft wieder ein. Diesen Schlafzyklus wiederholt es fortlaufend für etwa 30 Minuten. In Summe kommt das Reh im Winter nur auf drei Stunden Schlaf. Ob ein Reh schläft, kann man nicht erkennen, weil es im Schlaf die Augen schließt und öffnet, um Raubtiere zu verwirren.

Reh im Winterwald © Matthijs van Heerikhuize on Unsplash
Reh im Winterwald © Matthijs van Heerikhuize on Unsplash

Im Winter suchen Rehe oft Schutz unter Nadelbäumen, zum Beispiel Kiefern und Fichten. Die dichten, niedrigen Äste dieser Bäume schützen die Rehe vor Wind und herabfallendem Schnee. Das immergrüne, dichte Koniferen-Dach hält außerdem die Wärme wie eine schützende Glocke in Bodennähe. Jedes Grad zählt, wenn man aus der geduckten Haltung sofort vor Raubtieren fliehen können muss.

Im Frühjahr und im Sommer gönnen sich Rehe etwas mehr Schlaf, nämlich vier Stunden. Sechs Stunden ruhen sie, weitere sechs Stunden verbringen Rehe mit Äsen und Wiederkäuen, und zwei Stunden wenden sie darauf auf, ihren Standort zu wechseln. Im Frühling und Herbst ist das Wetter häufig nass und regnerisch. Auch dann lassen sich Rehe gerne unter Nadelbäumen nieder, um sich vor dem Regen zu schützen. Ansonsten verstecken sie sich gerne im dichteren Gestrüpp.

Manchmal hinterlassen Rehe hier eine ganz besondere Spur

Wenn Rehe sich ihr ‘Bett’ herrichten, sorgt das nicht nur dafür, dass sie bequemer ruhen können. Wie so oft in der Natur helfen sie auf diese Weise auch anderen Lebewesen. Im Winter führt das Scharren am Waldboden dazu, dass hier und da die Humusauflage fehlt und der bloße Waldboden freiliegt. Und nur hier können dann Pflanzensamen keimen, die diese Freiheit brauchen, wie zum Beispiel die der Birke, Kiefer oder Tanne.

Rehbett im Wald © Marcel Gluschak
Rehbett im Mai © Marcel Gluschak

Im letzten Frühsommer hatte ich das Glück, einen sehr frischen Schlafplatz zu finden. Begeistert stellte ich fest, dass das Reh hier noch eine weitere Überraschung hinterlassen hatte…

Schlafplatz eines Rehs im Mai © Mar el Gluschak
Frischer Schlafplatz eines Rehs © Mar el Gluschak

Mir fielen die kleinen blassen Striche auf, die in der Mitte des Schlafplatzes leicht glänzten. Tatsächlich: Vom Fell des Tieres hatten sich Haare gelöst. Rehe wechseln zwei Mal im Jahr ihr Fell, im Frühling und im Herbst. Im Frühling fallen ihnen mitunter ganze Fellbüschel aus.

Haare, die ein Reh auf seinem Schlafplatz hinterlassen hat © Marcel Gluschak
Haare von Rehen findet man häufig in ihren Betten © Marcel Gluschak

Im Sommer haben Rehe eher glattes Fell, im Winter sind ihre Haare eher wellig, länger und dichter. Außerdem sind beim Reh die Winterhaare innen hohl. In diesem sogenannten Röhrenhaar wirkt die Luft isolierend. Auch andere Säugetiere wie Hirsche und Eisbären schützen sich mit diesem Trick vor der Kälte. Die Tiere kühlen nicht so schnell aus und sparen Energie. Anders als unsere Haare lassen sich diese Röhrenhaare knicken. Wenn du im Winter also Rotwild- oder Rehwildhaare im Wald findest, kannst du sie anhand dieses Tests gut als solche erkennen.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

3 Kommentare

  • Christiane Eichberger-Cammarata

    Ein sehr schöner, bildhafter Bericht über die Rehe und ihre schwierigen Lebensbedingungen im Winter. Als Laie habe ich wieder sehr viel gestaunt und gelernt, und mit den tollen Fotos war es so, als sei man live dabei gewesen bei der Spurensuche.💚 👏👏👏 Ich hoffe sehr, dass die Rehe trotz Klimakrise, die besonders Nadelbäume stark schädigt, noch genügend gesunde Nadelbäume mit dichten, niedrigen Ästen als Zufluchtsort und Versteck finden, und dass die Forstwirtschaft umdenkt und bezüglich der Anforderungen in der Zukunft mit Einsicht und Rücksichtnahme auf alle Waldbewohner handelt und plant! Wie man hier lesen kann, sind ja die Rehe nicht nur für den ihnen immer angelasteten Verbiss verantwortlich, sondern sorgen genausogut für das Keimen neuer Birken, Kiefern und Tannen🌱🌿. Und sie könnten niemals einen solchen Schaden im Wald anrichten wie diese entsetzlichen Harvester,⚡ die man hoffentlich bald verbietet! Aus einem zusammengepressten Waldboden kann gar nichts mehr keimen und wachsen! Mögen alle Rehe und anderen Waldtiere den Winter gut überstanden haben und den Frühling in Freiheit genießen. 💚🙏🍀 Hoffentlich gibt es dann einen neuen Beitrag über diese herrlichen, anmutigen Tiere. 😃 💗

  • Martin

    Das ist so eine schöne Internetseite! Habe sie gefunden, weil ich bald aus der Großstadt an den Waldrand in „absolute Nichts“ ziehe. Freue mich schon so auf die Natur!!! Ich blicke direkt in ein rieeeesen Waldgebiet.

  • Susanne Erni

    Ein interessanter Bericht.
    Wir wohnen am Rande der Stadt St.Gallen, Schweiz.
    Bei unserem Haus hat es Gestrüpp und etwas oberhalb den Wald.
    Ziemlich regelmäßig haben wir Besuch von Reh und Rehbock. Im Gestrüpp gibt es zwei Liegeplätze. Sie lassen sich durch fast nichts stören. Mit dem Rehbock führe ich oft Gespräche. Leider kommt keine Antwort.
    Im Winter haben wir oft viel Schnee, aber ich denke, man sollte die Tiere nicht füttern, oder doch?
    Grüessli aus der Schweiz
    Susanne

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