Winter

Die Wacholderdrossel

Wacholderdrossel im Weißdorn © Marcel Gluschak
Eine Wacholderdrossel im Weißdorn – seine Früchte sind Nahrungsquelle für über 30 Vogelarten. © Marcel Gluschak

Während uns in der kalten Jahreszeit viele Brutvögel verlassen, kommen Wintergäste, deren Brutheimat im hohen Norden liegt. So kommt es zum Beispiel, dass wir überwinternde Wacholderdrosseln antreffen können. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Schottland und dem mittleren Frankreich bis zum Oberlauf des Amur in Sibirien. Gegen körperlich überlegene Greifvögel hat die Wacholderdrossel eine besonders drastische Form der Verteidigung entwickelt. Sie beschießt die Angreifer von oben – mit Kot.

Kurzstreckenzieher aus den Highlands

Im Herbst, wenn die Brutzeit endet, verlassen uns die Kraniche und mit ihnen viele weitere Vögel in Richtung Süden. Ein Großteil unserer Vögel wandert in großen Schwärmen ab. Dafür kommen die nordischen Wintergäste bei uns an. Einige bleiben, andere machen nur einen Zwischenstopp, um bald zu noch wärmeren Breiten aufzubrechen. Wenn wir jetzt mit offenen Augen durch die Landschaft gehen, bietet sich uns täglich ein neues Bild.

Auffallend hübsche Vögel tauchen plötzlich auf: Bergfinken und Seidenschwänze, Birkenzeisige und Erlenzeisige. Auch Scharen von Meisen, Rotkehlchen, Buch- und Grünfinken, Dompfaffen, Saatkrähen, Eichelhäher und Goldhähnchen kommen bei uns an. Sie entfliehen dem grimmigen Winter in Skandinavien, dem Baltikum und Russland. Da es diese Arten aber auch hier gibt, fallen sie zwischen unseren heimischen Wintervögeln kaum auf. Rotkehlchen beispielsweise sind Teilzieher – nur ein Teil wandert ebenso wie ihre nordischen Artgenossen ans Mittelmeer und nach Nordafrika. Wenn wir also im Winter einen Vogel beobachten, kann er einheimisch sein, oder aber auch ein Gast aus dem hohen Norden.

Wenn einem im Spätherbst plötzlich eine neue Vogelgruppe auffällt, dann sind dies ziemlich sicher Wintergäste. So gesellte sich bei uns ein großer Trupp Wacholderdrosseln zum überwinternden Vogelvolk. Von einem auf den anderen Tag besiedelte die muntere Gruppe die umliegenden Felder und Hecken. Die Wacholderdrossel (Turdus pilaris) ist ein Kurzstreckenzieher, der sich Ende September auf den Weg macht und spätestens November am Zielort eintrifft. Die Vögel überwintern vor allem in Mittel- und Südwesteuropa sowie im Mittelmeerraum. Ab Mitte Februar ziehen sie wieder zurück in ihre Heimat. Die Brutreviere werden ab März und bis in den April hinein besetzt.

Wacholderdrossel © Marcel Gluschak
Vielleicht stammt diese Wacholderdrossel aus Schottland – in unseren Breiten kann sie den Winter leichter überdauern. © Marcel Gluschak

Wacholderdrosseln sind auch außerhalb der Brutzeit gesellig. Sie ziehen und rasten bevorzugt in Trupps oder kleinen Schwärmen. Als Lebensräume werden bevorzugt Wälder, Feldgehölze, mit Bäumen bestandene Gewässerufer, Parkanlagen und Gärten ausgewählt. Die bunten Drosseln halten sich gerne auf hohen Bäumen in kleinen Kolonien auf. Aus dieser Position und in dieser Teamstärke können sie sich effektiv gegen Angreifer verteidigen. Auch wir Menschen sollten ihnen nicht zu nahe kommen, um nicht getroffen zu werden…

Warum Greifvögel die Wacholderdrossel fürchten

Kommt ein Fressfeind – etwa eine Krähe, eine Elster oder ein Waldkauz – zu nahe, setzt die Wacholderdrossel-Kolonie zur Gegenattacke an. Die Drosseln schießen gezielt mit ihrem Kot. Auch Greifvögel, die deutlich größer sind, haben gegen diese Waffe kaum eine Chance. Vogelkot ist sehr klebrig und ätzend. Es sind schon Bussarde verendet, weil ihr Federkleid vom Kot der Wacholderdrossel völlig verklebt war. So mancher erfahrene Greifvogel macht da lieber einen großen Bogen um die Wacholderdrosseln, um seine Flugfähigkeit oder gar sein Leben nicht zu gefährden.

Auch für den Nestbau hält sich die Wacholderdrossel gerne möglichst weit oben auf. In einer Stammgabel legt sie trockene Grashalme und Laub zurecht. Anschließend kleidet die Wacholderdrossel den Rohbau mit nasser Erde aus, auf die sie wiederum eine Schicht Grashalme legt. Das Nest bietet fünf bis sechs Eiern Platz. Die erste Brut erfolgt Ende März bis Anfang April, die zweite im Juni.

Wenn nach 12 bis 13 Tagen die Jungen schlüpfen, füttern die Eltern vorwiegend mit tierischer Nahrung. Regenwürmer, Insekten und Spinnen gehören vor allem dazu. Für die Nahrungssuche fliegt die Wacholderdrossel meist nicht weiter als 250 m vom Brutplatz weg. Im Alter von 30 Tagen sind Wacholderdrosseln bereits völlig selbstständig.

Im Winter schätzen die Vögel vor allem Beeren. Wacholderdrosseln picken auch gerne das Fruchtfleisch aus den Äpfeln, die jetzt noch vereinzelt an den Bäumen hängen oder im Schnee liegen. Wer einen Apfelbaum hat, sollte daher immer ein paar Früchte dort belassen.

Wacholderdrosseln im Baumwipfel © Marcel Gluschak
Die Wacholderdrossel ist ein geselliger Vogel. © Marcel Gluschak

Wacholderdrosseln haben ein lebhaft gemustertes, buntes Gefieder. Ihr Gesang wiederum ist viel weniger melodisch und flötend, als bei anderen Drosseln. Das Zwitschern der Wacholderdrossel klingt gepresst und enthält schrille und krächzende Töne. Durchzügler und Wintergäste lassen im Flug ein durchdringendes „gii“ sowie ein raues „schack, schack, schack“ ertönen. Bei Störungen im Nest ist ein kratzendes “trrtrrtrr” zu hören.

Wie die Wacholderdrossel und andere Singvögel den Winter überstehen

Es ist wahrlich kein Urlaub, den Wacholderdrossel und Co. in den Überwinterungsgebieten verbringen. Das Nahrungsangebot ist knapp. Und die Konkurrenz mit den anderen Vögeln, die daheim geblieben sind, ist nicht zu unterschätzen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Wildtiere bei Tag und Nacht ausnahmslos draußen sind. Anders als wir, die wir uns an den warmen Ofen zurückziehen können, müssen Vögel im Winter jeden Kälteeinbruch verkraften. Mit nichts weiter als ihrem dünnen Federkleid müssen sie jeden Nachtfrost überstehen, während wir in warmen Betten liegen. Die wenigen Früchte, die dann noch erreichbar sind, sind gefroren. Fressfeinde wie Habichte, Füchse oder Hauskatzen lauern dennoch überall.

Bei Minusgraden sieht man Vögel häufig ruhig und aufgeplustert auf den Ästen hocken. Sie versuchen so, mit ihren Federn ein möglichst effektives Wärmepolster zu schaffen. Jede unnötige Bewegung wird vermieden. Die meisten Vögel haben eine normale Körpertemperatur von 41 Grad. Um in eisigen Winternächten möglichst wenig Reserven zu verbrauchen, senken einige Vögel ihre Körpertemperatur auf etwa 32 Grad ab. Was ist aber mit den Füßen, die nicht von Federn geschützt sind? Damit diese bei frostigen Temperaturen nicht erfrieren, sinkt die Fußtemperatur bis auf null Grad. Im Sommer erreichen die Beine wieder Körpertemperatur und sorgen somit für Abkühlung – denn Vögel können nicht schwitzen.

Im ersten Jahr sterben ca. 60 bis 70 Prozent der Singvögel, weil sie erfrieren oder gefressen werden. In den Folgejahren sterben jedes Jahr von den Verbleibenden immer noch mal 40 bis 50 Prozent. Somit haben Singvögel eine Lebenserwartung von nur wenigen Jahren. Doch diejenigen, die alle Gefahren meistern, können deutlich älter werden. Freilebende Wacholderdrosseln können 18 Jahre alt werden, ebenso wie Amseln.

Ralph Müller schreibt zu diesem Thema in seinem Buch “Die geheime Sprache der Vögel” sehr treffend: “Vögel sind nicht nur Grenzwesen zwischen Himmel und Erde, sondern bewegen sich gerade im Winter auf einem schmalen Grad zwischen Leben und Tod.” Wenn ich mit diesem Wissen den Vögeln im Winter zuschaue, empfinde ich Demut angesichts ihres harten Lebens unter freiem Himmel – und Dankbarkeit für jeden einzelnen Vogel, der in den Zweigen sitzt oder am Himmel umherstreift.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

1 Kommentar

  • Cristina Camarata

    Diese eindrucksvolle Schilderung der verschiedenen Vogelzüge, der Wintergäste aus dem Hohen Norden, der Teilzieher… und das Porträt der wunderschönen Wacholderdrossel ist eine sehr berührende Lektüre und macht wieder einmal bewusst, wie stark diese gefiederten Himmelsstürmer sind, bei so geringem Gewicht. Wie hart sie im Nehmen sind und auch im Austeilen. Das ist bei den Wacholderdrosseln ja ganz schön krass 😅. Da finden die Greifvögel anscheinend ihre Meister in der Luft. Wie gerne würde sich wohl eine Maus derart gegen einen Angriff eines Greifvogels zur Wehr setzen? 😏 Die genaue Beschreibung ihres Sozialverhaltens, ihrer Kommunikation und der Aufzucht ihrer Jungvögel hilft, sie von anderen Drosselarten gut zu unterscheiden. Dann war die einzelne Drossel im Baum, die ich in Finken’s Garten zuletzt sah, wohl kein schottischer Gast 😏. Mich stimmt es auch nachdenklich, dass die Singvögel ein so hartes, und viele von ihnen nur ein sehr kurzes Leben haben. Aber dass sie im Idealfall auch 18 Jahre alt werden können, finde ich erstaunlich! Wenn man die Klimaveränderungen und die Wettergegensätze – wie gerade jetzt – betrachtet, bekommt man Angst um die Singvögel. Wir Menschen lassen ihnen zusätzlich viel zu wenig artgerechte Lebensräume, es kommen Krankheiten dazu, wie bei den Blaumeisen und Amseln in den vergangenen Jahren. 😢
    Die Vögel brauchen, wie die Insekten unsere besondere Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützung! Intakte Wälder, Wiesen, Felder und Hecken – überall!!! Was wäre unsere Welt ohne diese faszinierenden Geschöpfe, deren Gesang uns so berührt und deren Flugkünste in uns die Sehnsucht nach Freiheit wecken? 🐦🦅🦉🕊️🦋🐝💚

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