Der Bläuling
Rund drei Viertel dieser Tagfalter erleben eine Geburt, die wirklich außergewöhnlich ist. Sie gehen eine enge Bindung mit Ameisen ein – und somit ein extrem hohes Risiko. Wer weiß, unter welchen Gefahren einige Bläulinge das Licht der Welt erblicken, wird die kleinen blauen Schmetterlinge mit anderen Augen betrachten.
Bläulinge (Lycaenidae) sind eine artenreiche Familie der Schmetterlinge. Welche Art man gerade vor sich hat, ist schwer zu sagen. In Deutschland sind 48 Arten bekannt, die sich teilweise sehr ähneln. Es gibt aber auch Bläulinge, die gar keine blauen Flügel haben – das macht es nicht einfacher. Hinzu kommt, dass manche Bläuling sehr selten sind. Das liegt unter anderem an ihrer hohen Spezialisierung. Sie brauchen extrem eng definierte Bedingungen, um sich fortpflanzen zu können.
Der Enzian-Ameisenbläuling etwa wählt gezielt den Enzian als Futterpflanze für seine Raupen, der Wiesenknopf-Ameisenbläuling akzeptiert wiederum nur den Wiesenknopf. Kommen diese Pflanzen nicht vor, hat die Art keine Chance. Doch selbst das reicht nicht aus – es müssen auch Knotenameisen die Wiese bewohnen. Dann sind die Bedingungen für den extremen Lebenszyklus der Ameisenbläulinge gegeben.
Gut versteckt vor Räubern ernähren sich die Raupen zunächst vom Inneren der Blüte. Dann seilen sich die Raupen auf den Wiesenboden ab – aus einer für sie schwindelerregenden Höhe! Oder sie lassen sich schlicht fallen. Dort verströmen sie den Duft, der eigentlich den Larven der Knotenameisen eigen ist. Dieses Täuschungsmanöver ist so riskant wie heimtückisch: Kommen die falschen Ameisen vorbei, ist die Raupe leichte Beute. Tauchen aber die richtigen Knotenameisen auf, fallen diese auf die Täuschung herein und tragen die Bläulingsraupe geradewegs in ihren Bau.
Plötzlich fliegt die Tarnung auf – dann heißt es: Flucht oder Tod!
Die Ameisen befördern die gefräßige Raupe somit mitten in ihre Larvenkammer, wo sie sich von den Arbeiterinnen umsorgen lässt. Dabei frisst sie unbemerkt die Ameisenbrut auf. Doch der Schwindel fliegt nicht auf, denn diese Bläulingsarten beherrschen eine perfekte Tarnung, zu der neben Düften auch Ameisengeräusche zählen.
Wenn jedoch die Zeit gekommen ist, dass der Kuckucks-Schmetterling schlüpft, muss er schnellstens den Ausweg aus dem Ameisenbau finden! Der junge Schmetterling verfügt plötzlich über keine tarnenden Duftstoffe mehr. Einen letzten Trumpf hat der Bläuling aber noch: Er trägt bewachste Schuppen. Mit dieser Rüstung kann er zumindest für einen Moment die ersten alarmierten Knotenameisen auf Abstand halten. Doch viel Zeit bleibt dem Falter für seine Flucht nicht. Will er überleben, muss er in kürzester Zeit an tausenden aufgebrachten Ameisen vorbei ins Freie.
Dass so mancher blaue Falter, der in den Sommertagen galant über die Wiese flattert, bereits so eine dramatische Lebensgeschichte überstanden hat, traut man ihm auf Anhieb sicher nicht zu.
2 Kommentare
Cristina Camarata
Das ist wirklich eine dramatische Lebensgeschichte, die der Bläuling zu erzählen hat! Wenn man den zarten, eleganten Falter auf einer Blüte sitzend betrachtet, traut man ihm gar nicht zu, dass er diesen extremen Weg für seine Entwicklung wählen “musste”, muss man ja sagen, denn es war sicher nicht seine Idee…😏
Das zeigt aber auch wieder, wie wichtig die pflanzliche Biodiversität für den Erhalt aller Tierarten ist. Ein sehr interessanter, lehrreicher Beitrag!
Wo sind denn die herrlichen Fotos von diesem seltenen, zarten Falter entstanden?
Marcel Gluschak
Liebe Cristina, vielen Dank für deine tollen Kommentare unter meinen Artikeln. Zu deiner Frage, wo die Fotos vom Bläuling entstanden sind: im Naturschutzgebiet “Biesenthaler Becken”, nördlich von Berlin. Das ist eine wirklich wunderbare Gegend. Weitere Infos hierzu gibt es u.a. beim NABU: https://naturerbe.nabu.de/naturparadiese/brandenburg/biesenthaler-becken/index.html