Winter

Bizarr: Haareis

Haareis, auch Eiswolle genannt, besteht aus feinen Eisnadeln, die sich nur unter bestimmten Bedingungen bilden. Foto © Marcel Gluschak

Ich dachte zunächst: Liegt hier ein Stück Perücke? So unnatürlich wirkte das haarige Naturwunder, über das ich bei einem Waldspaziergang im Hintertaunus stolperte. Wohl eher ein Stück Fell, oder? Doch die leuchtend weißen Fäden schienen direkt aus einem Stück Holz zu wachsen. Dann ist es wohl ein Pilz, fragte ich mich. Doch das passte nicht wirklich zu dem, was ich bisher als Pilze kannte.

Die Haare wirkten extrem gleichförmig, hatten eine ähnliche Länge und wuchsen in feinen Locken. Das haarige Etwas leuchtete regelrecht auf dem umliegenden Laub. Ich bin ehrlich: Ich hab mich nicht getraut, die Haarbüschel zu berühren. Hätte ich es getan, hätte ich schnell bemerkt, wie die Haare in meiner Hand schmelzen. Was ich hier entdeckt habe, gibt es selten zu sehen: Haareis.

Wächst wie echtes Haar aus den Holzporen

Tatsächlich spielt bei diesem kleinen Wunder aber doch ein Pilz die Hauptrolle. Es ist ein Pilz, der typischerweise das Holz von Laubbäumen befällt: die Rosagetönte Gallertkruste (Exediopsis effusa). Sie scheidet ein proteinartiges Molekül aus, das die Bildung einer Eisschicht auf nassem Holz verhindert.

Außerdem ist der in den Gängen des toten Holzes lebende Pilz winteraktiv und atmet. Die Gase seines Stoffwechsels drängen das im Holz vorhandene, leicht unterkühlte Wasser an die Oberfläche. Dort gefriert es zu Eis. Die feinen Eiskristalle werden durch das nachdrängende Wasser immer weiter durch die Poren nach außen geschoben. Somit wachsen die Eisbüschel wie echtes Haar von unten aus dem Holz heraus. Dabei können sie durchaus eine Länge bis zu 10 cm erreichen.

Warum aber produziert die Rosagetönte Gallertkruste diese eigentümliche Zuckerwatte? Vermutlich dient das Haareis dem Pilz als Frostschutzmittel. So gefriert das Wasser nicht im Ast, wo der Pilz wohnt, sondern außerhalb. Durch die Energie, die beim Vorgang des Gefrierens frei wird, wird der Ast zudem etwas wärmer als seine Umgebung.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

2 Kommentare

  • Cristina Camarata

    Was für ein überaus interessanter Artikel über ein seltenes Phänomen, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Wie großartig und wunderschön die Natur in allen Dingen und Lebewesen wirkt! Es sieht aus wie Engelshaar. Sehr interessant, dein Bericht über das Haareis! Man lernt hier ganz tolle Sachen! 🌿Natur-begegnung. de🌿 ist mein absoluter Lieblings-Blog! 💚
    Er hebt sich sehr erfreulich von den sonst üblichen… ab. Jeder von den Beiträgen zeichnet sich durch hohe Qualität, Anspruch und Ästhetik aus und ist trotzdem leicht verständlich geschrieben. Das ist so schön für mich zu lesen, als dürfte/könnte ich doch noch im Alter studieren und interessante Vorlesungen hören, meinen Horizont erweitern und … Danke❣️ 😃 Und das Schönste ist: man kann es immer wieder nachlesen und vertiefen 😏
    💓👏👏👏

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