Die Puscheltaktik der Waldrebe
An manchen Sträuchern und Bäumen fallen uns in dieser Zeit seltsame Pflanzen auf. Die puscheligen, wolligen Büschel sehen aus wie eine Deko, die sich Feen ausgedacht haben könnten. In Wirklichkeit sind dies die Fruchtstände der Waldrebe – eine giftige Kletterpflanze, aus der die Menschen früher vieles herstellten, von der Schnur bis zur Wand.
Die Waldrebe riecht erst nach Fisch, erinnert dann an Frauenhaar…
Die Gemeine Waldrebe (Climatis vitalba) kann bis zu acht Meter hoch klettern. Darauf weist schon ihr griechischer Gattungsname hin (“klema” = Ranke). Der Artname vitalba bedeutet soviel wie Weiße Rebe. Sie wächst an Gebüschen und Waldrändern und bevorzugt lockere, kalkhaltige Lehmböden.
Im Herbst fallen die wolligen Fruchtstände ins Auge, die ganze Gebüsche überziehen. Bevor sich diese bilden können, durchlaufen die Blüten der Waldrebe einen interessanten Wandel. Zunächst sind sie weiblich. Die weiblichen Fruchtblätter überragen die männlichen, noch unreifen Staubblätter und werden von den Insekten bestäubt. Etwas später sieht man die Fruchtblätter kaum noch. Sie werden nun von den gelbweißen Staubblättern überragt – Das männliche Stadium hat begonnen.
Die Blüten verströmen einen Duft, den viele von uns unangenehm mit Fisch assoziieren. Diese Duftstoffe locken jedoch erfolgreich Zweiflügler und Käfer an. Auch Honigbienen, seltener Wildbienen, fliegen die Waldrebe an. Blütezeit ist von Juli bis September. Nachdem der Pollen nach und nach abgeerntet wurde, fallen die Blütenhüllblätter ab, und es verbleiben nur noch die weißen Staubfäden.
Im September beginnen aus jeder Blüte Früchte zu reifen – zahlreiche Nüsschen mit langen, behaarten Fortsätzen, die ihnen zur Verbreitung dienen. Erst in den Wintermonaten sind sie fertig gereift. Die Früchte bleiben über Winter stehen. Früher nannte man die Gemeine Waldrebe auch “Geißbart”, “Herrgottsbart” oder “Frauenhaar”, wohl weil die flauschigen Fruchtstände die Menschen an Haare erinnerten.
Wenn sich die Samen im Frühjahr ablösen, wirken die haarigen Anhängsel wie kleine Segel. Einer leichten Feder gleich können die Nüsschen so mit den starken Winden im Frühjahr fortgeweht werden. Doch die Transporthilfen funktionieren auch bei Regen. Feucht können sie wie Kletten an Tieren haften bleiben. Und manche werden auch dadurch verbreitet, weil Vögel die pflanzlichen Federn für ihren Nestbau nutzen. Bis die Nüsschen den Erdboden erreichen, darf einiges an Zeit vergehen. Die Samen sind langlebig und keimen bei Kälte.
Giftig, aber auch hilfreich beim Hausbau
Zum Klettern benutzt die Waldrebe die Stiele ihrer Blätter und Blättchen. Sobald sie eine andere Pflanze berührt, verlängern sich diese Stiele und umwinden die Stütze. Sie gehört zu den Hahnenfußgewächsen (Ranunculacea), einer großen Pflanzenfamilie, die weltweit über 2.500 Arten hervorbringt. Anemonen, Busch-Windröschen und natürlich der Hahnenfuß gehören ebenso dazu wie die im Winter blühende Nieswurz (Helleborus) oder der prächtige Rittersporn. Alle Hahnenfußgewächse sind giftig.
Die Waldrebe enthält das Gift Protoanemonin. Wie viele anderen Hahnenfußarten auch, die dieses Gift enthalten, bewirkt der Waldrebensaft Entzündungen auf der Haut. Früher griffen Bettler in ihrer Verzweifelung auf diesen ätzenden Saft zurück, um sich Geschwüre und Hautentzündungen zuzufügen – So wollte man Mitleid erregen und die Menschen zum Spenden bringen. Ebenso ist es nicht ratsam, Teile der Waldrebe zu essen. Der Körper reagiert mit Entzündungen im Mund- Rachenbereich, mit Krämpfen und Reizungen der Nieren, mit Erbrechen und Durchfällen bishin zu Störungen des Nervensystems.
Und dennoch war diese Pflanze uns Menschen ein treuer Helfer. Aus ihrem Bast stellten unsere steinzeitlichen Vorfahren Seile her und nahm die Ranken zum Körbeflechten. Reste davon hat man in alten Pfahlbauten gefunden. Die Pflanze spielte sogar eine wichtige Rolle im früheren Hausbau. Bei der sogenannten Flechtwerkwand, der ursprünglichsten Wandform, wurden Waldreben, Weidenruten und andere biegsame Gehölze in Gerüste aus Pfosten und Ästen eingeflochten und anschließend mit Lehm bestrichen. Das bei uns bekannte und geschätzte Fachwerk gilt als eine bautechnische Weiterentwicklung, die aus der Flechtwerkwand hervorging.
Bei unseren heutigen Gebäuden begegnet uns die Waldrebe eher in anderer Form – als Fassadenbegrünung. Inzwischen weiß man: Grüne Fassaden sind eine wichtige, ökologische Bereicherung. Manche locken Schmetterlinge an, wie z.B. der Hopfen das Tagpfauenauge oder der Efeu den Schwalbenschwanz. Und einige Arten blühender Kletterpflanzen wie etwa das Gartengeißblatt, der Wilde Wein oder eben die Waldrebe dienen Bienen als wertvolle Nektarquelle.
1 Kommentar
Christiane Eichberger-Cammarata
Der lustige Titel macht schon neugierig auf den Inhalt des Beitrages, und es ist wieder ein wissenswertes, kurzweiliges Lesevergnügen!😃 Nun weiß ich, was ich da im Herbst und Winter fotografiert habe, als kaum noch Blumen blühten, und diese prächtigen, dekorativen Gebilde sich an Bäumen hochrankten und im rötlichen Licht der Winterabendsonne so märchenhaft aussahen… Da musste ich auch an Elfen denken.😏 Die Fotos hier sind aber auch wieder sehr gelungen und stimmungsvoll! Wie schön, hier alles über die giftige❗ Waldrebe zu erfahren, und zu lernen, mit welchen Pflanzenarten sie botanisch verwandt ist. Erstaunlich, dass sie trotz ihrer Giftigkeit schon in der Steinzeit im “Haushalt” genutzt wurde.😮 Was ich auch an diesem Blog so mag, sind die kleinen Abstecher in andere Wissens- und Themenbereiche, wie hier in die Geschichte des Hausbaus.👍✨ Das macht es immer noch einen Touch umfassender.😃👏👏
Und natürlich die Betonung der Bedeutung der Waldrebe und anderer Kletterpflanzen im Ökosystem.💚