Sommer

Die Storchschnabel-Gewächse

Wiesen-Storchschnabel © Marcel Gluschak
Der Wiesen-Storchschnabel mit seinen auffälligen, bis zu 3,5 cm langen Fruchtständen © Marcel Gluschak

Von Juni bis August blüht der Wiesen-Storchschnabel in einem wunderschönen Blauviolett. Die ausdauernde, krautige Pflanze schießt – ähnlich wie ihre rund 400 Verwandten – ihre Samen katapultartig bis zu zwei Meter von sich weg. Besonders Bienen und Schwebfliegen ‘fliegen’ auf diese sommergrüne Halbrosettenpflanze – wie hat sich dann aber der Storch in ihren Namen geschlichen?

Adebar war nicht nur bei dieser Spezies, sondern bei ihrer gesamten Pflanzenfamilie namensgebend. Der Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense), auch Blaues Schnabelkraut genannt, ist eine Art aus der Gattung der Storchschnäbel (Geranium), und diese wiederum gehört zur Familie der Storchschnabelgewächse (Geraniaceae). Storchschnabelarten kommen auf allen Kontinenten und sogar in der Arktis und Antarktis vor. Die meisten von ihnen wachsen bevorzugt auf nährstoffreichen Lehmböden. Der Wiesen-Storchschnabel zum Beispiel, dessen Verbreitungsgebiet von Europa bis nach Mittelasien und Sibirien reicht, ist eher an kühl-feuchten Standorten zu finden, am liebsten wächst er in feuchten Senken von Wiesen und an Gräben.

Wiesen-Storchschnabel © Marcel Gluschak
Jede Blüte des Wiesen-Storchschnabels ist jeweils für 2 Tage geöffnet. © Marcel Gluschak

Beim genauen Blick auf den Fruchtstand der Pflanze wird uns klar, wie es zum Verweis auf den großen rotbeinigen Vogel kommt. Die länglichen, spitz zulaufenden Fruchtstände erinnern an den Schnabel des Storches. Die botanische Bezeichnung Geranium beinhaltet ebenfalls eine Verbindung ins Reich der Vögel: Das griechische Wort “géranos” steht für einen weiteren charismatischen Vogel mit langem Schnabel: den Kranich. So verwundert es auch nicht, dass im Deutschen die Pflanze früher auch Kranichschnabel genannt wurde.

Wiesen-Storchschnabel © Marcel Gluschak
Die Katapultfrüchte erinnern an die Kopfform eines Storches oder eines Kranichs. © Marcel Gluschak

Um sich zu verbreiten, nutzt die Pflanze einen spektakulären Effekt. Alle Storchschnabel-Arten treten als sogenannte Austrocknungsstreuer in Aktion. Das bedeutet, dass sie ihre Samen durch das explosionsartige Aufplatzen des austrocknenden Schnabels verbreiten. Der Samen liegt zunächst lose im becherförmigen unteren Teil des Fruchtfachs. Damit er nicht vorzeitg herausfällt, stellen sich ihm Haare in den Weg. Rollen sich dann die ausgetrockneten Fruchtfächer plötzlich von der Mittelsäule ab, werden die Samen mit viel Schwung herauskatapultiert. Der Wald-Storchschnabel (Geranium sylvaticum) übertrumpft dabei die beachtliche Leistung des Wiesen-Storchschnabels. Seine Samen schleudert er bis zu drei Meter weit fort.

Stinkender Storchschnabel © Marcel Gluschak
Der Stinkende Storchschnabel erreicht eine Wuchshöhe von bis zu 50 cm. © Marcel Gluschak

Noch weiter schafft es der Stinkende Storchschnabel (Geranium robertianum). Seine Samen fliegen knapp zwei Meter hoch und bis zu sechs Meter weit weg. Charakteristisch an dieser Art ist außerdem die ausgeprägte Behaarung der Stängel und Fruchtstände. Mit deren Hilfe bleiben die Pflanzen an Mauern und Rinden haften und können so leichter in die Höhe wachsen.

Sowohl der Stinkende Storchenschnabel als auch der bis zu 80 cm große Wiesen-Storchschnabel zählen zu den sogenannten Spreizklimmern. Mithilfe von Blattgelenken können sie sich auf anderen größeren Pflanzen abstützen. Die gleiche Technik nutzen u.a. auch die Brombeeren, Kletterrosen und das Kletten-Labkraut, um sich bestmöglich zur Sonne zu positionieren. Die Blattgelenke helfen den Storchschnabel-Pflanzen außerdem dabei, ihre Blattflächen zum größten Lichteinfall hin auszurichten.

Stinkender Storchschnabel © Marcel Gluschak
Der Stinkende Storchschnabel verbreitet sich auch, indem er dank seiner Haarstränge an Tieren hängen bleibt. © Marcel Gluschak

Der Stinkende Storchschnabel, auch als Ruprechtskraut bekannt, wurde schon im Mittelalter als Heilpflanze geschätzt. Er gilt als blutstillend und wundheilend und wurde daher gegen Zahnschmerzen, Prellungen, Fieber, Gicht, Nieren- oder Lungenleiden, Herpes und Nasenbluten verwendet. Auf Wunden aufgelegt zeigt die Pflanze tatsächlich eine antiseptische Wirkung. Und für noch etwas ist das Ruprechtskraut nützlich: Die zerriebenen Blätter riechen streng und halten Mücken auf Abstand.

Der Wiesen-Storchschnabel wiederum findet als dankbare Gartenpflanze auch gerne in der Küche Verwendung. Von April bis Juli können seine Blätter roh für Salate und Kräuterquark verwendet werden. Für die erwärmten Blätter gibt es zahlreiche weitere Zubereitungsmöglichkweiten: in Suppen, gefüllten Nudeln, Aufläufen, Eintöpfen, Bratlingen, Eierspeisen und in Broten bringen sie Abwechslung in die Küche – ohne dabei einen starken Eigengeschmack zu besitzen. Die ebenfalls milden Blüten sind eine wunderbare essbare Dekoration auf Salaten. Gesund ist diese Zutat in jedem Fall – aufgrund der darin enthaltenen ätherischen Öle und Gerbstoffe hilft der Storchschnabel u.a. gegen Magen-Darm-Erkrankungen und wirkt entschlackend.

Beim Storch denken viele außerdem an den erfüllten Kinderwunsch, und so hält sich auch der Glaube, Storchschnabeltee sei für eine Schwangerschaft zuträglich. Eine fruchtbarkeitssteigernde Wirkung von Storchenschnabel-Gewächsen ist aber wissenschaftlich nicht erwiesen und gehört wohl wie der Kinder bringende Storch ins Reich der Mythen.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

2 Kommentare

  • Cristina Camarata

    Das ist wieder ein sehr schöner, interessanter und lehrreicher Beitrag über eine sehr hübsche Pflanze. Ein gelungenes Portrait, das umfassend Auskunft gibt über die verschiedenen Arten, die Namensherkunft, die ausgeklügelten Fortpflanzungsstrategien… bis hin zu den Heilwirkungen und der Essbarkeit von Blüten und Blättern. Ein Lesevergnügen! 🌱💚🌿 Hoffentlich bleibt uns diese schöne Pflanze in Zukunft erhalten – sie braucht ja kühl-feuchte Standorte, Wiesen und Wälder – wie wir!
    Ich frage mich… “Wenn die Menschen im Mittelalter die Pflanze schon kannten (Ruprechtskraut), ob sie neben den Heilwirkungen auch die Technik der Pflanze studiert haben? # Bionik… Ob sie oder Menschen weit vor ihnen die Schleudern und Katapulte entwickelt haben, indem sie die Storchschnabelpflanzen genau beobachteten?” Es ist für mich erstaunlich, welche Power und welche Reichweite in diesen zarten Pflanzenteilen steckt, die nur von Licht, Luft, Wasser und Mineralstoffen ernährt werden. 😃 Grünkraft pur! 🌱💪💫
    Laut Google sind die “Rühr-mich-nicht-an” Springkräuter wohl nicht mit den Storchschnabelgewächsen verwandt 🤔😏 ?
    Vielen Dank für diesen schönen sommerlichen Beitrag. Bei der nächsten Wanderung werde ich besonders nach dem Storchschnabel Ausschau halten 😊

    • Marcel Gluschak

      Danke für Deinen Kommentar. Ja, das ist richtig. Die Springkräuter gehören zur Familie der Balsaminengewächse, und als solche zur Ordnung der Heidekrautartigen (Ericales). Die Storchschnabelgewächse gehören zur Ordnung der Storchschnabelartigen (Geraniales).

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