Herbst

Brennnessel-Früchte ernten

Brennnessel © Marcel Gluschak
Brennnesseln sind wenig beliebt, obwohl sie so viel für uns bieten. © Marcel Gluschak

Mit ihren Brennhaaren will sie uns scheinbar auf Abstand halten, und dennoch beschenkt sie uns so großzügig: die Brennnessel. Im Spätsommer und Herbst liefert sie uns mit ihren Samen ein gesundes Superfood mit mild nussigem Geschmack. Schon im Altertum hat die ausdauernde Pflanze die Menschen in ihren Bann gezogen – ihr wurden gar magische Fähigkeiten zugesprochen.

Die Brennnessel: ein ungeliebter Alleskönner

Brennnesseln (Urtica – vom lateinischen “urere”, “brennnen”) gibt es fast überall auf der Welt. Bei uns sind vier Arten zuhause: die Große Brennnessel und die Kleine Brennnessel, sowie die seltenere Röhricht-Brennnessel und Pillen-Brennnessel. Vor allem die Große Brennnessel (Urtica dioica) ist bekannt – und nicht selten ebenso gehasst. Jeder kennt den beißenden Juckreiz, den die Brennnessel verursachen kann. Doch so widerspenstig die brennende Pflanze wirkt, so scheint sie doch die Nähe des Menschen regelrecht zu suchen. Nährstoffreiche Standorte am Waldrand sowie in Siedlungen sind ihr am liebsten. Wer ihr nicht mit Abneigung, sondern mit Neugier begegnet, stellt Erstaunliches fest.

Die Brennnessel ist eine Pflanze, die mehrjährig wächst und über ein weitverzweigtes Wurzelsystem verfügt. Auf diese Weise verbessern Brennnesseln die Bodenqualität. Auch wirken sie dem Übermaß an Stickstoff entgegen. Abgestorbene Brennnesseln fügen dem Boden wiederum viele Mineralien zu. Wenn unter Obstbäumen Brennnesseln wachsen, vermehrt dies deren Ertrag. Und stehen sie neben Kräutern, entwicklen diese ein stärkeres Aroma.

Brennnesseln © Marcel Gluschak
Wo viele Brennnesseln wachsen, ist der Boden reich an Stickstoff. © Marcel Gluschak

Die Große Brennnessel ist eine zweihäusige Pflanze. Das heißt, wir finden Pflanzen mit nur weiblichen und mit nur männlichen Blüten. Die männlichen Blüten sind zu kleinen, vierstrahligen Sternchen geformt, deren Zacken nach innen aufgerollt sind. Sie öffnen sich bei einem Wärmereiz ruckartig und entlassen so eine Blütenstaubwolke in die Luft. Der Wind überträgt anschließend den Pollen auf die weiblichen Blüten.

Admiral auf Kleiner Brennnessel © Marcel Gluschak
Ein Admiral (Vanessa atalanta) auf einer Kleinen Brennnessel (Urtica urens). © Marcel Gluschak

Besonders beliebt ist die Brennnessel bei drei ganz besonderen Schmetterlingen: Das Tag-Pfauenauge, der kleine Fuchs und der Admiral umschwärmen die Brennnessel eifrig. Sie legen ihre Eier hier ab, und die geschlüpften Raupen ernähren sich ausschließlich von Brennnesselblättern.

Gemüsepflanze, Naturfaser, Zaubermittel

Doch auch für uns Menschen kann die vermeintlich aggressive Brennnessel eine reichhaltige Nahrungsquelle sein. In früheren Zeiten war es für die Menschen ganz selbstverständlich, sie als Gemüsepflanze zu sammeln. Die Blättern lassen sich wie Spinat kochen. Aber auch in Eierspeisen und Teigtaschen, als Würzkraut oder als Tee wird die Brennnessel seit jeher geschätzt.

Mancherorts werden im Frühling noch Nesselwecken zubereitet – eine Speise aus uralten Zeiten, als es sehr wichtig war, nach einem entbehrungsreichen Winter viele Vitamine zu sich zu nehmen. Mit den verspeisten Brennnesseln, so der damalige Glaube, ziehe der Geist der wachsenden Vegetation in die müden Knochen.

Tatsächlich gibt die Brennnessel dem Körper wichtige Mineralien und Vitamine und senkt auf diese Weise den Blutzuckerspiegel. Weiterhin hemmt sie Entzündungen und liefert besonders viel Eisen, das von unserem Körper gut aufgenommen werden kann. Die leicht harntreibende Wirkung hilft bei Nierenleiden.

Brennnessel-Früchte © Marcel Gluschak
Bereits die Germanen schätzten die Brennnessel als ‘Krieger im Pflanzengewand’. © Marcel Gluschak

Für unsere Vorfahren, die Kelten, war die Brennnessel aber auch eine wichtige Faserpflanze. Sie stellten aus Nesselfasern Stoffe für Säcke und Hemden her. Schon in der Altsteinzeit wurden aus der Pflanze Stricke, Netze, Reusen und Tragetaschen geflochten.

Das uralte Märchen “Die sechs Schwäne”, das auf keltsiche Erzählungen zurückführt, erzählt von sechs verhexten Königssöhnen – und von der Zauberkraft der Brennnessel. Die böse Stiefmutter hatte die Brüder in sechs Schwäne verwandelt. Nicht ohne Grund sind es diese Vögel, von denen die Geschichte erzählt. Schwäne halten sich in Ufernähe auf, wo Land und Wasser ineinander übergehen. Im Weltbild der Kelten waren Schwäne somit in übertragener Form “Zwischenwesen”, die sowohl die hiesige als auch die Anderswelt repräsentierten.

Die Königssöhne konnten nur erlöst werden, wenn ihre Schwester jedem ein Hemd aus Nesselstoff näht, ohne dabei ein einziges Wort zu sprechen. Auch die Brennnessel, umschrieben als “Sternenblume”, hatten die Märchenerzähler nicht zufällig als Zauberpflanze auserkoren – ist sie es doch, die uns mit ihrem Brennen besonders direkt ins Hier und Jetzt zurückholen kann. Aus diesem Grund haben die Menschen damals Nesselhemden zum Schutz gegen Täuschungen und Illusionen getragen – als eine Art magisches Kettenhemd. Aus dieser Zeit überlieferte sich auch der Glaube, dass der Verzehr von Brennnesseln am Neujahrstag böse Geister und Zauber fernhalten soll.

Brennnesselsamen: appetitlicher Energielieferant

Von Mitte Juli bis in den Oktober hinein schenkt uns die Brennnessel einen weiteren besonderen Schatz: ihre Früchte. Häufig ist von der Ernte der “Brennnesselsamen” die Rede, doch eigentlich gehören sie botanisch zu den Nussfrüchtchen. Als solche fallen sie leicht ins Auge: Bei den weiblichen Brennnesseln hängen die Fruchtstände in dichten Büscheln nach unten. Aus männlichen Blüten – sie stehen eher waagerecht ab – entstehen keine Früchte. Daher sind es die weiblichen Brennnesseln, die für die Ernte interessant sind. Ihre Nussfrüchtchen sind erst grün, im Herbst werden sie braun. Sie bleiben lange an den Stängeln hängen, auch wenn diese im Herbst schon alle Blätter verloren haben.

Brennnesselfrüchte © Marcel Gluschak
In dichten Büscheln hängen die Fruchstände der Brennnessel nach unten. © Marcel Gluschak

Brennnesselfrüchte gelten als vitalisierend und sind ein wunderbares Stärkungsmittel, das unsere Körperfunktionen nach Zeiten der Erschöpfung und des Stress neu in Schwung bringt. Aufgrund ihres hohen Eiweißgehalts stellen sie eine effektive Energiequelle dar. In 100 Gramm Brennnesselsamen stecken 31 Gramm Eiweiß. Geröstet oder getrocknet kann man die Früchte wie ein Gewürz verwenden und zum Beispiel auf die Pasta oder aufs Butterbrot streuen. Sie haben einen angenehm nussigen Geschmack.

Der Grund für das Brennen – und ein Trick, es zu vermeiden

Um die Blätter und Früchte der Brennnessel zu ernten, muss man sich keine brennende Haut holen. Mit etwas Vorsicht kann man ihre Waffen umgehen. Diese sind mikroskopisch kleine, hohle Haare, die aufgrund der eingelagerten Kieselsäure hart und spröde wie Glas sind. Bei der kleinsten Berührung brechen sie ab. Mit einigem Druck schießt dann die die Brennflüssigkeit heraus und gelang so in die Wunde. Quaddeln und Ausschlag, Brennen und Juckreiz sind die Folge. Da aber die Brennhärchen nach oben ausgerichtet sind, kann man Brennnesseln tatsächlich relativ gefahrlos anfassen, indem man sie von unten nach oben streicht. Um die Blätter zuzubereiten, müssen sie nur drei Sekunden blanchiert und dann vorsichtig mit einem Nudelholz abgerollt werden – so verlieren sie ihre Brennhaare.

Brennnesselsamen auf einem Butterbrot © Marcel Gluschak
Brennnesselsamen sind lecker – auch einfach auf dem Butterbrot. © Marcel Gluschak

Blätter und Früchte der Brennnessel sollte man besser nicht am Straßen- oder Feldrand ernten, da hier die Belastung mit Abgasen oder Düngemitteln sehr hoch sein kann. Die grünen Fruchtstände lassen sich auf einem feinmaschigen Gitter oder Tuch einfach trocken. Nach wenigen Stunden lösen sich dann die Nüsschen von den Fäden. Wenn sie braun sind, ist es noch einfacher, dann kannst du sie leicht abstreifen.

Und wenn man sich bei einer Brennnessel doch mal einen Juckreiz eingefangen hat? Dann helfen die Blätter des Breitwegerich, der oft in der Nähe wächst. Einfach die Blätter zusammenfalten, zerdrücken und mit etwas Spucke die brennenden Stellen auf der Haut damit einreiben – Und schon vergeht der Schmerz. Die Welt der Pflanzen ist eben voller Geschenke.

Ich arbeite beim WWF Deutschland und bin dort zuständig für das Jugendprogramm. Nebenberuflich absolviere ich eine Ausbildung zum Naturerlebnispädagogen bei CreNatur sowie zum Wildnispädagogen bei der Wildnisschule Hoher Fläming. Ich liebe es, in der Natur unterwegs zu sein, ob zu Fuß, im Kanu oder mit dem Fahrrad. Es vergehen schnell Stunden, in denen ich mich ausdauernd in der Naturfotografie ausprobiere oder einfach den Moment genieße, beobachtender Teil der Natur zu sein. Achtsamkeit, Respekt für die Natur und Begeisterung für ihre Schönheit liegen mir sehr am Herzen.

3 Kommentare

  • Cristina Camarata

    Über diesen interessanten, informativen Bericht freue ich mich wieder sehr, da ich gerade über die Brennnessel nachgedacht habe und mich freute, dass sie sich auf meinem Balkon überall ausbreitet! Ich hatte im Mai etwas gemischten Wildblumensamen ausgestreut, und nun sind Brennnesseln beim Johannisbeerstrauch, unter dem Stachelbeerstrauch, beim Klee, in den Blumenkästen, und ich bin sehr froh darüber – seit ich weiß, wie wichtig diese Pflanze für Schmetterlingsarten ist! Schade, dass die Brennnessel in der jüngeren Vergangenheit oft nur verächtlich als Unkraut ausgerupft wurde, oder höchstens als Brennnesseljauche in der Schädlingsbekämpfung eingesetzt wurde. Danke auch deshalb für diesen wichtigen und sehr lehrreichen Beitrag, der all die Vorzüge dieser wertvollen Pflanze wieder ins Bewusstsein rückt! In der Tat habe ich wieder sehr viel Neues gelernt, und werde nun schauen, welche meiner Brennnesseln auf dem Balkon weiblich bzw. männlich sind. Vor dem “Brennen” habe ich keine Angst mehr, seit ich gelesen habe, dass das ausgezeichnet bei Arthroseschmerzen helfen soll. Also hinein mit den Händen 😅, ist gut für die Durchblutung 😄. Vielen Dank auch für die kulinarischen Tipps 👌✨. Der Brennnesseltee gehört bei mir schon lange zu den Haustees, aber die Brennnesselsamen und
    -blätter werden auf jeden Fall auch Einzug in unsere Küche halten 🌿. Sehr spannend sind auch wieder die kulturgeschichtlichen Aspekte dieser Pflanze. Wie klug doch schon die Menschen in der Altsteinzeit waren, die die Nesselfasern zu Seilen und Stoffen verarbeitet haben. Das könnte man wieder kultivieren 😏 # umweltfreundliche, rasch nachwachsende Rohstoffe… Und auf das neue, uralte Märchen freue ich mich auch sehr! Das höre ich mir heute Mittag bei einer Tasse Brennnesseltee an. 💚

  • Marcel Gluschak

    Vielen Dank für Deinen ausführlichen und begeisterten Kommentar. Es freut mich riesig, dass der Text weitere Inspirationen für Deinen Alltag geweckt hat. Und ja, das Kribbeln der Brennnessel ist eigentlich etwas Positives für unseren Körper. Ich werde ein Erlebnis nicht vergessen, das ich mit einem kleinen Jungen bei einem Natur-Camp hatte. Er schlug mit einem Stock auf alle Brennnesseln ein und rief: “Ich hasse Brennnesseln!” Auf die Frage, warum er so fühlte, antwortete er: “Die brennen, das tut total weh.” Als er sich wieder an einer Brennnessel weh tat, ging ich mit ihm direkt zu einem Breitwegerich und zeigte ihm, wie er das Kribbeln schnell wieder loswird. Seitdem hatte er seinen Frieden mit den Brennnesseln geschlossen – das hat mich sehr glücklich gemacht.

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